Pünktlich zum 20-jährigen Jubiläum der "Erweiterten Sachlichkeit" erschien 2014 der Zyklus aller echten, erfüllten Liebesgedichte im BoD-Verlag und wurde zum 30.Jubiläum 2024 aktualisiert. 24 ausgewählte E.S.-Beispiele der mittlerweile insgesamt 116 Liebesgedichte finden sich in der Leseprobe und dem dazugehörigen
Videobuch hier: "ZIELE DER ZÄRTLICHKEIT"
"(...) Zu meinem Entsetzen stellte ich fest, daß die abendländische Tradition von Liebeslyrik zu ca. 95% (nach meiner Analyse - gemäß der 3 Haupt-E.S.-Kriterien [grammatische Präsentik, gegenständliche Positivität und genaue Personalität] - aller verfügbaren Gedichte) von Sehnsuchtsgedichten geprägt ist (soll heißen: ich entdeckte unter den zighunderten Texten tatsächlich nur 5% "echte" Liebesgedichte quer durch die Jahrhunderte!) und nur extrem selten in den Nachworten von der neurosoziologischen Bedeutung der ERFÜLLTEN Liebe überhaupt die Rede ist, ganz zu schweigen von dem subtilen Etikettenschwindel des Begriffs..."
De Toys: VON DER ROMANTISCHEN SEHNSUCHT ZUR REALEN
LIEBE ALS ERWEITERTE SACHLICHKEIT (Mitte Dezember 1996)
"Sich selbst angenommen zu fühlen durch die Liebe eines anderen ist eine Grundbedingung des menschlichen Wachsens."
Arno Gruen, in: DER WAHNSINN DER NORMALITÄT (1987)
"In unserer Kultur macht sich ohnehin ständig jeder Aufzeichnungen über alles mögliche, und es wird als wesentlich wichtiger angesehen, zu notieren was geschieht, als ein Ereignis zum Zeitpunkt seines Geschehens zu erleben. Diese Entwicklung frißt uns auf, weil es wichtiger geworden ist, die Buchhaltung in Ordnung zu halten, als das eigentliche Geschäft gut zu führen." Alan Watts, in: Das Tao der Philosophie (1995)
"(...) Die Zeit ist gekommen, da der Mensch im Menschen aufsteht. Sein Ganzheitsgewissen erwacht. Er beginnt wieder die Seiten seines Menschseins zu fühlen und
zuzulassen, die unter den herrschenden Umständen nicht leben durften: das Weibliche im Menschen (im Mann nicht weniger als in der Frau), das in dieser mann-männlichen Welt keinen Platz hat, die
Individualität des Einzelnen, die in einer versachlichten, organisierten Welt 'stört', vor allem aber das WESEN, d.h. die Weise, in der das Sein im Menschen als sein eigentlicher Kern ans Licht
drängt. Aber nur in dem Maße, als der Mensch leibhaftig zu seiner Erdmitte hinfindet, wird das Verdrängte wirklich neu zu leben vermögen."
Karlfried Graf Dürckheim, in: 'HARA - DIE ERDMITTE DES MENSCHEN' (1967/2005)
"Was wird zu den Aufgaben, den Notwendigkeiten des Liebesgedichts heutzutage gehören? Zu allererst wohl, daß es auf die Suche nach dem Liebenden von heute gehe!
Aber dieser Liebende entzieht sich. Er entzieht sich gerade dadurch, daß er sich in Öffentlichkeit flüchtet. Dadurch wird das Private maskiert. (...) Diese 'entzückte', parabolische Form ist
nahezu nie mehr in diesen Jahren gelungen, weil sie - in einem tiefen Sinne - nicht mehr zur Sprache gebracht werden kann, weil das Vermögen zu einer Sublimierung, die hierbei offenkundig wird, geschwunden ist,
weil nicht 'Erhöhung', 'Entrückung', sondern Entfernung, Sprachlosigkeit, auch Unwille an jeglicher Äußerung der Individualität im Gedicht Ausdruck für das sind, was aus diesem Gedicht und mit
denen, die es schreiben, geworden ist. (...) Bei jüngeren Autoren tritt ein derartiger Zustand nicht mehr ein. Sie bringen, wenn sie Gedichte schreiben, die man stets mit Vorbehalt Liebesgedichte
nennen sollte, weil sie frühere Vorstellungen vom Liebesgedicht als Genre nicht mehr zulassen, die Schwierigkeit des Versuchs überhaupt mit; sie ist dem Gedicht anzumerken. (...) Das Gedicht
weiß, wie sehr menschliche Beziehung lenkbar und überlagerbar ist, eingekreist von alter Herkunft wie von organisierter 'Gegenwart', die sogar noch Liebesbeziehung in ihre Planung einbezieht.
(...) Die Zurücknahme jeder Direktheit - aus Unsicherheit, Geduld, Resignation, aus Beunruhigung entstanden - gibt Aussprachemöglichkeiten, die auf direktem Wege unerträglich geworden sind. (...)
Es liegt auf der Hand, daß bei Vertretern einer das Gegenständliche und Thematische abstrahierenden Lyrik für das Liebesgedicht kein Raum ist. Der Stroff hat sich so weit aus diesen Texten
zurückgezogen, daß stoffliche Wahrnehmungen bestenfalls auf ein Minimum reduziert erscheinen. (...) Der einstigen Ich-Du-Beziehung wird jedenfalls auf diese Weise ausgewichen. Sie sinkt zu einer
schattenhaften Konstellation ab, bekommt etwas unmerklich Gespenstisches, Entferntes, Undeutliches, Wunderliches, nicht ganz Geheures. (...) Das übersensibilisierte Wort verfällt einer Schwäche,
die in Agonie übergehen kann. In der Liebeslyrik bewegt sich die Grenze zum Schweigen, zum Verstummen hin in anderer Richtung. Sie hat mehr mit Diskretion, mit Distanz mittels Diskretion als mit
der eigentlichen Aufhebung der Wortexistenz mittels Buchstabenzerfall zu tun, wie das bei der konkreten Poesie unserer Tage [1961] oft genug zu beobachten ist. (...) Individualität, lyrisches Ich
oder wie wir es bezeichnen wollen, wird gerade im Liebesgedicht als letztes ausgerottet sein. Das macht es schließlich für manche zum Monstrum. Aber manchen gilt es gerade deshalb als Inbegriff
dessen, was allem rapiden Gestaltwandel zum Trotz, ihrer Hoffnung 'Nahrung gibt, daß das Gedicht auch weiter überlebe."
Karl Krolow, in: ASPEKTE ZEITGENÖSSISCHER DEUTSCHER LYRIK,
aus der 3.Vorlesung als Gastdozent für Poetik an der Universität Frankfurt im Wintersemester 1960/61: "DIE BESCHAFFENHEIT DES MODERNEN LIEBESGEDICHTS"