"Der oft verzweifelt wirkende Ernst, der ueber angestrengten verbalen Versuchen unserer Tage liegt, sein mitunter spastischer Charakter, der zu merkwuerdigen
Beklemmungen und Verklemmungen fuehrt, zu einer Verbissenheit, die etwas Furchterregendes und etwas Ruehrendes zugleich an sich hat, sind Symptome fuer Veraenderungsvorgaenge grossen Stils. Sie
ereignen sich hinter der Buehne, auf der gut oder schlecht, aber jedenfalls ununterbrochen agiert wird, indem man sich den Umdrehungen und der wachsenden Geschwindigkeit der Umdrehungen des
lyrischen Perpetuum mobile anschliesst und sich eine Weile herumschleudern laesst. Aber man kann darauf auch anders reagieren und hat es getan. Man kann sich lockern auf eine Weise, wie dies
bisher nicht fuer moeglich gehalten wurde. Man gibt damit dem methodischen Ernst den Abschied und erleichtert sich, indem man 'spielt'. (...) Das Spiel hat - wie anderes - seine Manier. Aber es
leistet sich diese Manier unbefangener als andere Manierismen, einfach deshalb, weil die unwiderstehliche Quicklebendigkeit, die ihm innewohnt, die Widerstandshuerden, die Hindernisse, die ein
Bedenken errichtet, eher nimmt und hinter sich laesst. Das Spielerische macht sich oft dann frei, wenn irgendeine Pression vorhanden ist. Das Spiel als Ventil also? Als Gegendruck? Als
antispastisches Mittel? (...) Aber heute versucht man sich auf das zierlichste und vollkommenste mit der Herstellung eines verbalen Gleichgewichtes mit Hilfe verbaler Mitwilligkeit und kann dabei
in Untiefen stuerzen, die schlimmer sind als der Sturz in fruehere Hoellen. Dem Spieler wird heute mitgespielt. Er muss auf sein Spiel achten, dass es nicht unversehens wieder mit ihm Ernst
werde, bitterer Ernst."
Karl Krolow: ASPEKTE ZEITGENOESSISCHER DEUTSCHER LYRIK (1961)