Tom de Toys, 5.7.2013 (22:25h)
G E I S T E R Z E I T
während alle bücher / nach und nach / verstauben und verschimmeln / sterben die autoren / wie die fliegen weg / bevor ich sie befragen kann / ob sie am
lebensende / noch dasselbe wie / in ihren büchern glauben / so wie ich sowohl / mein letztes als mein erstes / als auch das allererste / als mein letztes buch / anbieten würde weil / der anfang
von literatur / die überwindung aller wörter / war um das zu sagende / sich selbst anzuvertrauen //
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"Was verlorenging ist die Fähigkeit, sich einzulassen auf zufällige Erfahrungen, Kontrolle aufzugeben und sich selbst in einer Aktivität zu verlieren; das zu
finden, was Reich, vielleicht irreführenderweise, 'orgastische Gratifikation' nannte. Die orgastisch unbefriedigte Person entwickelt einen künstlichen Charakter und fürchtet sich vor Spontanität. (...) Er bewegt sich von einer Krise zur anderen, getrieben von dem Wunsch nach Erfolg und stolz auf seine Fähigkeit, Streß zu ertragen.
Seine Panzerung stellt nicht nur eine Abwehr gegen andere dar, sondern gegen sein eigenes Unbewußtes, seinen eigenen Körper. Der Panzer mag gegen Schmerz und Wut schützen, aber er schützt auch
gegen alles andere. Diese Emotionen werden durch invertierte Werte niedergehalten, wie zwanghafte Sittlichkeit oder soziale Höflichkeit - die Tünche der Zivilisation."
Morris Berman, in: WIEDERVERZAUBERUNG DER WELT (1981)
"Unter allen Himmelsstrichen, in allen Klimazonen, unter jedem Regime, unter Tyrannen und in Republiken haben sich Menschen abgekapselt oder sind ins Exil
gegangen, wenn sie um ihr Leben bangen mußten, nur um dieses seltsame Schreibbedürfnis zu stillen. (...) Die Personalakten eines Beamten enthalten die Beurteilungen, die seinen Wert
bestimmen. Nahezu für jedermann gibt es Kriterien, unbestrittene Diplome. (...) Der Schriftsteller jedoch? Der Künstler? Niemand, keine Institution hat ihm diesen Titel verliehen. Er hat ihn sich
zugelegt, ohne zu wissen, ob er das Recht hatte, sich damit zu schmücken. Die Aufgabe, die er sich gesetzt hat, ist ihm nicht gestellt worden. Sie entspringt keiner unmittelbaren Notwendigkeit,
und es ist sehr gut möglich, daß sie sich im nachhinein als schädlich für die Gesellschaft erweist. Wer soll diesem Menschen Mut einflößen und darüber entscheiden, ob er
erfolgreich war oder sein Leben vertan hat? (...) Das Publikum zollt ihm Beifall? Es ist zunächst immer nur ein Teil der Öffentlichkeit, der applaudiert. Millionen Menschen bleiben gleichgültig,
während andere sich hartnäckig feindlich verhalten. (...) Letztlich steht am Ende der Laufbahn, die in der stillen Stube eines jungen Mannes begonnen hat, nichts als derselbe junge Mann als Greis
mit einem Packen vollgeschriebener Seiten, die gedruckt sind oder immer noch auf einen Verleger warten. Und selbst wenn das Abenteuer durch ein Wunder mit einem Staatsbegräbnis endet,
bleibt noch die Möglichkeit, daß eine neue Generation diesen Ruhm mit einem Lächeln oder einem Schulterzucken zunichte macht."
Georges Simenon, in: DER ROMAN VOM MENSCHEN (1977)