Autorenportrait: GEDICHTE SPUCKEN WAHRHEIT AUS (2104)
Dieser Essay erzählt die Geschichte von Tom de Toys, mit welchem Ereignis die "Direkte Dichtung" begann.
De Toys 2014 GEDICHTE SPUCKEN WAHRHEIT A
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Erstveröffentlicht in: CONNECTION SPIRIT 9-10/2014

("SOWOHL ALS AUCH: ADVAITA" - Ausgabe)

GEDICHTE SPUCKEN WAHRHEIT AUS

Von der Heilsamkeit der "befreiten" Poesie

als mystischer Seelensprache

Seit einer mystischen Erfahrung 1989, die ihn von allen religiösen Fragen befreite, traut sich Tom de Toys, sich als Lyriker zu bezeichnen, denn damals diktierte ihm seine innere Stimme ein paar kurze "normaldeutsche" Zeilen mit der Erkenntnis: DAS ist Poesie, weil es ein echtes, selbst erlebtes, ekstatisches Ereignis beschreibt

VON TOM DE TOYS

Auch in der Rolle des Dichters spüre ich eine Verantwortung gegenüber der Erde als meinem Zuhause inmitten dieser unendlichen Leere, die wir so lapidar Universum nennen. Diese Verantwortung bezieht sich auf meinen Umgang mit Sprache. Von wem sonst, wenn nicht von einem Dichter, könnte man so etwas bedingungslos fordern und hoffnungsvoll erwarten! Ein Dichter ist jemand, dem "fliegen die Worte zu", ganz so als würden ihm Engel ins Ohr flüstern. Aber das ist schon zu esoterisch gedacht. Der Dichter dichtet ganz einfach. Punkt, aus. Und wenn er dichtet, entsteht ein Gedicht. Auch ein routinierter Dichter weiß erst, WAS EIN GEDICHT IST, wenn es da steht, dieses Sprachding, niedergeschrieben in einem "anderen", sagen wir der Bequemlichkeit halber "erweiterten" Bewußtseinszustand, empfangen mit seiner tabulosen, schamlosen Hingabe. Wie das eigentlich geht, ist nicht leicht zu erklären, aber ES FUNKTIONIERT... manchmal! Und dann ist ein Dichter der glücklichste Mensch auf der Welt. Warum? Weil sich für eine kurze Zeit ein ganz großartiges (nicht mit Größenwahn zu verwechselndes) Hochgefühl einstellt, der alltäglichen Sprache einen irgendwie "göttlichen" Streich gespielt zu haben, ihr etwas abgerungen zu haben, was sich unter ihrer Patina kaum noch vermuten lässt. Plötzlich formieren sich all die abgedroschenen Wörter der alltäglichen Laberei zu einem neuen Gebilde, aus Kohlenstaub wird plötzlich Diamant, die Alchemie ist geglückt und ein Gedicht hat das Licht der Welt erblickt! So erging es mir selbst 1989, nachdem ich einige Jahre verzweifelt nach Antworten auf all die sogenannten "letzten" Fragen gesucht hatte. Ich hatte als Teenager das Glück gehabt, daß der Jugendpädagoge der evangelischen Kirche auch Meditationsgruppen leitete (bis er durch eine waschechte Inquisition des Presbyteriums als moderner Ketzer gefeuert wurde!), so daß ich bereits ziemlich früh eine kosmische Out-of-body-Erfahrung machte und dank Kreuzmeditationen (nach Alfons Rosenberg) und geführter Imaginationsreisen (gemäß Jungscher Archetypenlehre) eine paranormale Öffnung erfuhr, die mein Bewußtsein anscheinend lebenslänglich für andere Ebenen der Seele durchlässig machen sollte. Zu jenem Zeitpunkt hatte ich schon einige manisch-depressive Gedichte verfasst, die diese unbändige Sehnsucht nach Wahrheit ausdrückten, mal eher bedrückt und mal auch euphorisch, aber immer nur sehnsüchtig suchend, nie angekommen. Als sich dann am 5. Mai 1989 ganz unerwartet all diese "spirituellen Probleme" wie ein böser Spuk in Luft auflösten (mein desaströser Zustand in den Tagen davor war nicht zu überbieten!), war auch die Zeit dieser lyrischen Jugendsünden automatisch überstanden. Es dauerte anderthalb Monate, bis sich mein Sprachzentrum neu ausgerichtet hatte, oder besser gesagt: aufgerichtet! aus diesem mystischen Nichts - und die ersten poetischen Worte über meine Erfahrung am 21. Juni ganz zart aus einer seelischen Ecke hervorquollen, die wie ein goldenes Tor leicht geöffnet stand, gerade weit genug, daß dieser 5-Zeiler hindurchhuschen konnte:

KONTAKT

zwischen zwei körnern
staub
schritte im meer
geatmet
und so

Verständlicherweise staunte ich selbst nicht schlecht über mein neues Selbstbewußtsein, denn ich konnte einfach nicht verhindern, daß meine innere Stimme mir sagte: "DAS ist ein ECHTES Gedicht und Du bist JETZT ein Dichter!" Allmählich gewöhnte ich mich an diesen Luxus, denn ich brauchte mich fortan nicht mehr um "das Dichten" zu kümmern, denn das geschah automatisch, wenn es was zu sagen gab, sprich: wenn ich genug ERLEBT hatte! Berufung und Arbeit fielen hier einfach zusammen: wenn sich Gedichte anbahnten (damals manchmal drei pro Tag, heute kommt durchschnittlich alle zwei Wochen ein einzelnes!), konnten die seelischen Geburtswehen zwar geistige Schwerstarbeit bedeuten: Konzentration als Kon-ZEN-tration war inmitten meiner neurotischen Unruhe vonnöten, die absichtliche Absichtslosigkeit, das genaue Hinhören in die geräuschlose Leere, das Loslassen vom Wunsch, ein Gedicht willentlich empfangen zu wollen, die ganze Paradoxie der Zwanghaftigkeit! Aber wenn ich mich intensiv genug an meine ursprüngliche mystische Erfahrung erinnerte, kam eine Erleichterung über mich, die ich nur noch als Gnade bezeichnen kann. Und das Gedicht "kam" dann sofort von alleine! Das waren Gedichte aller Gebiete: politische, mystische, engagierte, experimentelle, geniale, peinliche, manieristische, manische, depressive, erleuchtete - es gab keinen Grund, eine bestimmte Richtung einzuschlagen, also ließ ich mich ganz in die stimmungsfreie (also NICHT stimmungsLOSE, sondern JEDE Stimmung gewährende!) Rolle des themenbefreiten Dichters fallen und dichtete, was das Zeug hielt! Daraus erwuchs ein recht umfassendes Werk, es dürften vermutlich weit über 2000 Gedichte bis heute sein (was vergleichsweise wenig ist, obwohl es schon nach sehr viel klingt, aber da gibt es ganz andere Autoren!), und darunter sind einige Texte, die immer wieder an meine erste mystische Erfahrung anknüpfen, weil da etwas "geknackt" wurde, was eben das neue Fundament (nein, kein Beton, sondern die Bodenlosigkeit des SEINS an sich!) für meine gesamte Wahrnehmung wurde. So zum Beispiel dieses "Gebet", das ich am 24.12.2004 spontan halblaut während eines Gottesdienstes vor mich her murmelte, um gegen die hypnotische Wirkung des Vater Unser immun zu sein:

ZUR OFFENEN MITTE
[1.TRANSRELIGIÖSES GEBET FÜR DAS 23.JHD.]

DAS LOCH IST MEINE GROßE MITTE
ES DURCHDRINGT DAS GANZE ALL
DAS LOCH IST MEINE GROßE MITTE
ALS UNENDLICHER URKNALL

IN MEINEM KÖRPER WOHNT DIE LEERE
SIE TRÄGT UNS IM FREIEN FALL
IN MEINEM KÖRPER WOHNT DIE LEERE
SIE DURCHLÖST DEN ERDENBALL

MEIN GEIST VERWANDELT SICH ZU STILLE
ER BEJAHT DIE GEGENWART
AUCH OHNE WORTE SEI MEIN WILLE
OFFEN FÜR DIE FREIE TAT

DAS GRENZENLOSE LOCH IN MIR
RUHT ÜBERALL IN SEINER MITTE
ES VERBINDET MICH MIT DIR
UND TREIBT UNS VON HIER NACH HIER

Ich hatte ja 1989 bis zum Zusammenbruch meiner Kräfte verzweifelt versucht, mir die "perfekten" Antworten wortwörtlich zusammenzureimen, ich war ein verkrampfter Idealist, der nur absolut wasserdichte Antworten gelten ließ. Aber immer sickerte wieder ein kochender Tropfen von der nächsthöheren Ebene hindurch und die Antworten lösten sich wieder und wieder auf! An einem Beispiel sei das verdeutlicht: ich fragte nach dem "allerletzten" Urgrund des Ganzen, indem ich mir vorstellte, die Materie sei "eigentlich" leer, also NICHTS. Dann materialisierte ich dieses Nichts als eine Ebene (das war der Fehler, aber es war niemand da, um mich zu warnen!) und fragte weiter: woher kommt das Nichts? Ist es "eingebettet" in ein noch umfassenderes oder durchdringenderes Hypernichts? Wäre das dann Gott? Aber woher kommt dann Gott? Worin ruht ER, wenn nicht in sich selbst, denn das war mir zu einfach, erschien mir gemogelt für Anfänger, die die Suche zu früh aufgeben! Das ging so weit, daß ich auch superkonkret wissen wollte: WAS ist mein wahres ICH, wenn nicht nur das Wort "ich", also wenn ich alles Körperliche (Vergängliche) entferne, WAS bleibt als ICH letztlich übrig? Wer ist dieses Ich also, daß sich entscheiden könnte, ATMEN zu wollen? WARUM benötige ich eine Lunge? Weil ich die Luft brauche? Aber WAS ist der SINN von Luft? Warum soll ich atmen, wenn ich noch nicht einmal weiß, was der größere, metaphysische Sinn von Luft UND Lungen ist? Und warum soll ich die WÖRTER für Luft und Lunge verwenden, wenn ich sie nicht "durchschaue" und hinter ihrer Symbolik das große Phantom "Gott" nicht erkennen kann? Aus psychiatrischer Sicht war dieser Gedankenkreisel bedenklich, denn es waren die Schildkröten, die auf dem panischen Rücken von Schildkröten (wie die geklonten Bremer Stadtmusikanten) bis in alle Unendlichkeit standen, sehr unbefriedigend für einen Idealisten, der ALLES "dingfest" machen wollte! Vorallem die Ablehnung der Sprache als Symbole für nicht "absolut" aufgeklärte Sachverhalte bescherte mir die allererste somatoforme Störung: ich bekam eine so heftige Kiefermuskelverspannung, das ich nicht reden konnte, eine psychosomatische Maulsperre, die fast eine Woche andauerte. Jene apokalyptische Woche verbrachte ich damit, regungslos neben meinem Bett zu stehen und an die weiße Wand zu starren, Tag für Tag, weil ich alles verweigern wollte, was nicht endlich zuerst "absolut" geklärt und erklärt werden konnte: kein Wort, kein Gedanke, kein Molekül der gesamten Materie, keine Bewegung, kein garnix! Ich aß keinen Bissen und trank nur das nötigste Leitungswasser, weil ich die Hoffnung nicht aufgeben wollte, daß sich die Sachlage noch ändern könnte und das aus einem göttlichen Sinn heraus erklärbare Weiterleben lohnen würde - die romantische Sehnsucht war an ihrem unentrinnbaren Endpunkt angelangt! Bis ich mich dann zu einem Spaziergang im Grüngürtel zwang, weil mir die Ausweglosigkeit meiner Lage bewußt war und sich nach einer Woche leider rein gar nichts geändert hatte, sondern sich all das Denken von Wörtern und das Trinken von Wasser in dieser Person widerwillig fortsetzte. Als ich mich also ins Grüne aufmachte, ahnte ich nicht, daß mir ein noch viel größerer Schock bevorstand als all die verzweifelte Fragerei, nämlich daß mir in einem Sekundenbruchteil (oder dauerte es eine Stunde? ich hatte in der Erfahrung kein Zeitgefühl!) das Fragen an sich weggenommen würde! Es war eine Sprengung im Innersten aller Atomkerne und ihre Durchflutung von ihrer eigenen umgestülpten Seite. Mehr nicht. Das Durchschlüpfen durch das Loch, das sich danach als genauso inexistent herausstellt wie alles andere. Da war nur der Rahmen um das erfundene Loch herum, um die Sprungrichtung zu definieren. Kein Loch. Kein Nichts. Keine Leere. Erstrecht kein Gott oder Sinn. Da war nur die MATERIE in ihrer reinsten NICHTexistenz und kein Ich, das das "sah" sondern nur das gesamte Ganze, das in sich selbst als gleichzeitig NICHT Daseiendes "ruhte". Bei jedem Versuch, dafür Worte zu finden, überfällt mich inzwischen ein hysterischer Lachanfall, weil mir die ganze verflixte Tradition der Paradoxie vor die Nase gehalten wird. Wieviele Mystiker sind schon vor mir an der Vergeblichkeit der dualistischen Sprache gescheitert! Wieviele haben trotzdem nicht geschwiegen und krampfhaft versucht, etwas aus dieser Erfahrung hinüber zu retten ins triviale Reich der Alltäglichkeit! Und ich hatte ja immerhin noch Glück im Unglück: ich durfte zum DICHTER mutieren. Ich sage das wirklich ohne Koketterie, denn ich kann von der Dichterei ökonomisch nicht leben, sie ist reiner Selbstzweck und kommt und geht, wann und wie sie will, ja, "die" Poesie wandelt durch meine Seele nicht wie ein höflicher Gast sondern wie ein durchgeknallter Diktator! Was für ein Horrorhobby! Aber ich bin es selbst schuld. Habe mich zu weit aus dem Fenster der Welt gelehnt und dann doch nur die Welt selbst wiedergefunden. Das Universum hatte "von außen betrachtet" keine Haut wie ein Luftballon, sondern hat gar kein Außen! Dieses "Ankommen im Ganzen" hat etwas Tragisches, weil es den letzten Fluchtweg, die Weltflucht wegbombt! Du kannst nicht mehr flüchten, du bist plötzlich GRUNDLOS RESTLOS da! Ich beruhige mich damit, daß ich es als ein Geschenk akzeptiere, wenigstens keine religiöse Frage mehr zu haben. Seit jenem Erlebnis WILL ich atmen, WILL ich leben, WILL ich als "Ich" wahr-nehmen, was wahr ist: ALLES! Ich wünschte mir nur manchmal, daß es viel mehr Menschen gäbe, die die Erleuchtung erfahren, daß es keine Erleuchtung gibt, denn mir ist oft so seltsam zumute, als wäre die Stadt ein Science-Fiction-Film und die Menschen nur Surrogates, deren Ichs ihre Körper durch die Gegend bewegen, ohne wirklich "da" zu sein, "eins" mit sich selbst, weil sie noch glauben, daß ihr abgespaltenes, kaltes, theoretisches "Ich" als reingeistiges Wort wirklich real sei. Solange der Glaube sie in ihre Selbsts-ICH-erheit einlullt, taucht kein Fragezeichen im Kopf auf, die Welt wird einfach so hingenommen, als gäbe es keine "letzten" Fragen nach Gott, Sinn und dem Ganzen. Dann dichtet die Poesie in mir los, um mich davor zu bewahren, auf offener Straße loszuschreien (9./10.4.2005): "ÜBERGRÖßE"

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