STEUERGELDER FÜR SUBKULTUR?

"Solange nicht das bedingungslose Grundeinkommen für Dichter eingeführt wird, bleibt der Wert der Literatur wie gehabt höher als ihr Preis."
Felicitas von Lovenberg, in: ARME POETEN (F.A.Z. 22.4.2015)

 

 "EIN SUBKULTURMINISTERIUM FÖRDERT DEN NACHWUCHS DAHER 'VON UNTEN' an der Basis im echten Leben der Kreativszene, damit dem anspruchsvollen Kulturkonsument überhaupt Alternativen geboten werden, um mögliche Qualitätsmerkmale voneinander zu unterscheiden und staunend zu erkennen, wieviel wahre Genialität im subversiven Underground nur auf Sparflamme vor sich hin köchelt. Drehen wir den Hahn auf, um ein gewaltiges Feuer zu entfachen! Beenden wir das Subkultur-Dumping von beiden Seiten, indem wir Veranstalter UND Künstler subventionieren, die sonst nur in kleinen Spezialszenen (unbemerkt vom unterforderten, unterfütterten Publikum) vor sich hin vegetieren! Nehmen wir den Hunger des Publikums nach authentischer hoher Kunst aus der Tiefe der Freien Szene ernst!"
De Toys, in: SELBSTBOYKOTT DER SUBKULTUR (17.2.2014)

 

Freiherr von Freifahren, 10.2.2015
(Satire im Geiste Tucholskys)
 
EUTOPIE: STEUERGELDER FÜR SUBKULTUR?


der steuerzahler unterstützt mit seinem täglichen gang zum bürgerlichen arbeitsplatz nicht nur die ausbesserung von schlaglöchern im asphalt unserer straßen (zum wohle der autos), die erneuerung überholter bildungssysteme (zum wohle der kinder), diverse militärische operationen (zum wohle der verbündeten) und das luxusleben der politischen kaste (zum wohle des selbstzwecks), sondern im selben atemzug die erforschung und erschaffung kultureller mehrwerte durch künstler und literaten (zum wohle des bürgers selbst), die ihre arbeit im atelier oder von zuhause aus verrichten. während der bürger für eine arbeit bezahlt wird, deren sinn sich DIREKT offenbart (wie z.b. beim bäcker, bauer, apotheker und chemiker), muß sich der kulturschaffende tagtäglich aufs neue selbstkritisch fragen, ob seine werke dem allgemeinwohl IRGENDWIE IRGENDWANN dienen oder nur ausdruck seiner privaten psyche bleiben. unter dem druck der öffentlichen meinung muß der kreative entscheiden, ob seine vom steuerzahler bezahlte "erwerbslose" arbeit im großen stil SINN stiftet oder nur als persönliches vergnügen zu werten ist, das im besten fall seinem eigenen seelenheil zugute kommt (stichwort: innere notwendigkeit), aber keine weiterreichende kulturelle bedeutung erlangt. damit befindet sich der künstler zwangsläufig in einer nervenaufreibenden situation, einerseits völlig authentisch intuitiv einem inspirierten prozess gerecht zu werden, und andererseits sich sofort skeptisch moralisch von außen zu begutachten und zu entscheiden, ob die inspiration von überpersönlichem nutzen sein könnte. denn nur dann wäre die kreativität kein ordinäres hobby und der künstler übernähme eine staatstragende verantwortung für das gelingen des werkes. aber wie soll man im schaffensrausch wissen, ob das zu gebärende werk einen öffentlichen stellenwert hätte, zumal jede inspiration in der persönlichen psyche beginnt und sich oftmals erst mit vielen jahren verzögerung als allgemein bürgerlich verwertbar erweist. muß sich ein künstler denn ohne erfolg zu lebzeiten schämen, daß er steuergelder für nutzlose fantastereien verbrät, indem er als sogenannter arbeitsloser den ganzen lieben langen tag damit verbringt, sich den schöngeistigen prozessen hinzugeben, während der bürger schwer arbeitet UND einen erheblichen anteil seines einkommens für diese asozialen arschlöcher abgeben muß? wer liest denn gedichte? wer kauft eigentlich bücher? wer geht ins museum? und in das schauspielhaus? wer hat überhaupt zeit für kultur? nur die kulturschaffenden selber! der bürger nicht! denn der bürger arbeitet, um das auto abzubezahlen, mit dem er im stau steht, um zur arbeit zu kommen. auf autobahnen mit schlaglöchern, die mit seinen steuern ausgebessert werden, damit er problemlos zur arbeit gelangt, um diese steuern zu verdienen. der bürger ist in seiner freizeit damit beschäftigt, all diese strukturen zu verwalten, die er sich rund um die arbeit aufbaut, um die arbeit selbst leichter zu bewältigen. rasenmähen gehört manchmal auch dazu! aber bücher lesen? wer liest denn noch bücher? vielleicht einmal im leben (in der schule) einen bestsellerroman - aber gedichte? wozu? die versteht sowieso keiner. das ist vergeudete kostbare freizeit. es gibt andere dinge, über die man sich mit den nachbarn unterhalten möchte. gedichte sind nur was für wichtigtuer und depressive. und depressiv sind nur jene armen schlucker, die keine arbeit haben. also mit lyrik hat kein anständiger bürger zu tun. deshalb braucht lyrik auch nicht finanziert zu werden. zumindestens nicht über die steuern! im grunde sind lyriker steuerbetrüger der ganz besonderen art: sie liegen dem steuerzahler auf der tasche und produzieren nur nutzloses zeug! wenn einer wenigstens texte für beipackzettel schriebe! die verpackungsbeilagen von nützlichen gebrauchsgegenständen. die müssen doch auch von jemandem geschrieben werden. da hätten die lyriker endlich mal eine aufgabe! eine richtige aufgabe! produktlyrik! aber jetzt findet man mittlerweile schon echte gedichte auf waschzetteln! die welt ist pervers geworden. gedichte auf bierdeckeln, gedichte auf plakatwänden, gedichte in der werbung, überall plötzlich gedichte. in hinterhöfen posaunt einer schon lautstark gedichte von fenster zu fenster - das ist doch total aufdringlicher neurosmog! NEUROSMOG! wo sind die guten alten zeiten hin, als man noch einkaufen gehen konnte, ohne gleich über gedichte zu stolpern? das liegt ohne frage an der hohen arbeitslosigkeit. die gedichteschreiber vermehren sich wie sand am meer. all die vielen neuen lyriker sind eine gigantische düne, die sich allmählich ins landesinnere schiebt. die versandung der straßen, der sand im getriebe, eine naturkatastrophe ohnegleichen! die wirtschaft droht durch gedichte zusammenzubrechen. gedichte schreiben ist kriminell und muß unter allen umständen verhindert werden! statistiken zeigen eindeutig, daß die entwicklung des lebens hin zur totalen poetisierung dramatisch zunimmt und die öffentliche ordnung gefährdet. falls der bundesweite lyrikerpegel weiterhin exponenziell ansteigt, droht eine überpoetisierung der ganzen gesellschaft. wir vom verband "lyrikfreie zone" fordern schon heute ein umfassendes verbot von gedichten, um das übel an der wurzel zu packen. die lyriker, die zu nichts anderem fähig sind als gedichte zu schreiben, gehören in umschulungsmaßnahmen, um eine reintegration in die gesellschaft voranzutreiben. unsere welt soll wieder sicherer werden und darf nicht den dichtern überlassen werden! gründen sie heute noch einen ortsverband, um auch ihr eigenes umfeld vor den übergriffen der lyriker zu schützen. wir wollen weder die wichtigtuer noch depressive in unserer mitte - gedichte sind ablenkungsmanöver für schwache nerven. wir wollen ein starkes land mit innovativen produkten, die keine lyrik benötigen! nur eine inspiration, die die wirtschaft ankurbelt, ist eine gute inspiration. alles andere ist reingeistige fatamorgana und stört den landesfrieden. auch darum sind wir für die abschaffung des kunst- und deutschunterrichtes an sämtlichen schulen. wir machen ernst mit dem ideal einer gesellschaft, die in sich ruht und von keinen künstlerischen störfaktoren unterwandert wird. literatur und kunst sind die kinderkrankheiten des systems, das noch nicht zu sich selbst gefunden hat. solange es auch nur einen einzigen kulturschaffenden gibt, ist das system krank und bedarf einer strengen behandlung. deutschland muß jetzt endlich hart durchgreifen, damit sich der hart arbeitende bürger wieder im eigenen land wohl fühlen kann. für eine kulturfreie zone. für ein kulturfreies land. für einen freien bürger, der ohne angst vor übergriffigen dichtern von seiner arbeit behaupten kann: MEINE ARBEIT IST EIN GEDICHT, ICH KANN AUF LYRIK VERZICHTEN!

RHEINTURMZEIT (c) De Toys, 2.2.2015
RHEINTURMZEIT (c) De Toys, 2.2.2015

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