Tom de Toys, 3.6.2015
SCHWÄR-ZEN
Ich schreibe keine Gedichte mehr für eine Welt, die nur blutleere Gedichte verwertet. Die Alltagsroutine in Deutschland funktioniert gnadenlos gut, ohne ein unnötiges schönes Wort darüber zu verlieren. Gedichte sind billige Reime in Schulbüchern. Gedichte sind kitschig, korrupt und katastrophenresistent. Auch die modernen Gedichte, die zeitgenössische Gegenwartslyrik ist temperamentlos, talentlos und tot. Es gibt nur Rilke und Goethe und die Nobelpreisträger. Und Preisträger überhaupt. Alle anderen Namen sind uninteressant. Arbeitslose Schreiberlinge, denen es an einer vernünftigen Lebensaufgabe mangelt. Die immer nur an den Weltproblemen herumnörgeln. Die keine Ruhe geben. Die alles intellektuell totkommentieren. Die keine Reime mehr finden für die aktuelle Situation. Die keiner gebrauchen kann, um sich ein wenig vom Stress abzulenken. Gedichte mit Schwarzwaldprofil. Die man nebenbei wegliest. Zum Zeitvertreib. Irgendwo in der Warteschleife. Im Wartezimmer beim Zahnarzt. Und in der Mittagspause in einem Modemagazin. Gedichte sind unschuldige, glattgekämmte Satzkombinationen, die nett klingen und niemandem schaden. Gedichte dienen der guten Laune. Sind Balsam auf die blanken Nerven. Wellnesslyrik. Alles nur Schwarzwaldgedichte vom Feinsten: "die frisch gemähte wiese / duftet am sonnigen waldrand / sitzt der wanderer und / tankt den blauen himmel / in sein aufgewühltes herz / die toten bäume stehen / gespenstisch still im hochmoor / fließt das rostige wasser / durch saftig grünes moos / die vögel singen ihr zeitloses lied / das leben schenkt dir / einen weiteren tag / aber wer bist du / dem ich das sag //" Solche Gedichte kommen aufs Kalenderblatt. Das macht den echten Dichter platt. Der Seelensingsang. Hygienische Poesie. Ich schreibe keine Gedichte mehr. Ich behalte die dreckige Wahrheit für mich.