"Legenden: (...) Im 8. Jahrhundert v.Chr. verfasste der Dichter Homer die ersten schriftlich fixierten poetischen Epen: die ILIAS und die ODYSSEE. (...) Die
tatsächlichen Ereignisse des Trojanischen Krieges haben vier Jahrhunderte vor Homer stattgefunden, zu einer Zeit, als die griechische Welt von Königen beherrscht wurde, die in prächtigen und von
starken Mauern geschützten Palästen wohnten. Obwohl diese Königreiche eine reiche Kultur hatten, verfügten sie über keine schriftlich fixierte Literatur. So wurden die Heldentaten um Troja von
den Dichtern von einer Generation zur anderen mündlich weitergegeben. Diese frühe Dichtkunst sollte den königlichen Hof unterhalten und den Zuhörern als vorbildliches Beispiel dienen, denn obwohl
die Ereignisse, von denen berichtet wurde, schon lange zurücklagen, hielten sich die Zuhörer für Nachfolger der Helden. Es ist also nicht erstaunlich, dass die Dichter ihre Gesänge ausmalten und
mit mythischen Geschichten von Göttern und Ungeheuern ausschmückten. "Reine" Mythen: Der Dichter Hesiod, ein Zeitgenosse Homers, schrieb die THEOGONIE (Göttergenealogie), in der zum ersten Mal
die griechische Version von der Erschaffung der Welt und ihrer Titanen, Götter und Sterblichen aufgeschrieben wurde. (...) Es hat einmal ein 'Goldenes Zeitalter' gegeben, wo Sterbliche und Götter
glücklich und harmonisch miteinander auf der Erde lebten. Mutter Erde erzeugte alles, was die Menschen brauchten, und der Mensch brauchte nicht zu arbeiten. (...) Nach Hesiod befand sich die
griechische Kultur auf dem Rückzug vom Goldenen Zeitalter. Aber es gab einen pädagogischen Grund für diesen Mythos: Hesiod wollte mit seinem Gedicht seine königlichen Zuhörer ermahnen, auf Gewalt
und Unfrieden zu verzichten, so dass das Goldene Zeitalter von Neuem Einzug im Leben der Menschen halten würde. (...) Ob die Griechen selbst an ihre Mythen glaubten, ist heute schwer zu
entscheiden."
David Bellingham: "DIE GRIECHEN. KULTUR UND MYTHEN" (2008)
"Im Übergang von der religiösen Welterfahrung zur rationalen Welterklärung spielt das antike Griechenland eine Hauptrolle. Hier wurden vor zweieinhalb
Jahrtausenden Mythen des Orients mit den Erinnerungen an die eigene heroische Geschichte in synkretistischer Weise verbunden und zu phantasievollen Epen gestaltet; hier wurde das Wissen der alten
Stromkulturen, wenn auch zögernd und unvollständig, aufgegriffen, mit eigenen aus der Erfahrung geschöpften Kenntnissen zusammengeführt und neu geordnet, schließlich wesentlich erweitert und
systematisiert. So gilt das antike Griechenland zurecht als die Geburtsstätte der geistigen Kultur Europas und damit auch der wissenschaftlichen Astronomie. Hier noch nicht losgelöst vom Denken
des Ganzen in der Philosophie, ist ihre Entwicklung als ein Prozeß zunehmender Rationalität über mehr als fünf Jahrhunderte zu verfolgen: in unterschiedlichen kosmogonischen Vorstellungen und
kosmologischen Entwürfen einzelner philosophischer Schulen, in den Beobachtungen und mathematischen Darstellungen der Phänomene am gestirnten Himmel. (...) In den kosmogonischen Mythen wird wohl
auch die Geschichte der kosmischen Gottheiten und der Göttergeschlechter erzählt, die Hauptfrage aber kreist um das Problem der Entstehung und der inneren Struktur der Welt. So spekuliert um 700
v. Chr. HESIOD in der 'Theogonia' über die Entstehung der Götter und der sichtbaren Welt; die Kosmogonie wird also als Theogonie erzählt. Darin heißt es [gemäß Schadewaldt,
1970]:
>>Aus Chaos, der klaffenden Leere, entstanden Erebos, die Finsternis, und die dunkle Nacht. Aus der Nacht entstanden Aither, der höchste Himmelsglanz, wie
auch Hemera, der Tag, nachdem Nacht und Finsternis sich in Liebe vereinigt hatten. Und nun gebar Gaia, die Erde, ihr selber gleich Uranos, den Himmel, damit dieser sie rings umhülle und damit er
für die unsterblichen Götter ein Wohnsitz sein sollte für immer.<<
In der Dichtung der Orphik, des Kreises der Anhänger des sagenumwobenen Sängers ORPHEUS, wird die Theogonie HESIODs teils ausgebaut, teils abgeändert. Nun ist es
Zeus aus dem Geschlecht des Uranos, der die Identität mit dem Universum bewirkt, indem er Phanes, die ganze bis dahin bestehende Schöpfung, verschlingt und aus sich selbst neu hervorbringt. Im
griechischen Epos, so auch bei HOMER, wird das Urbild des Kosmos sichtbar, wie es für das frühgriechische Denken charakteristisch ist: Die Erde wird als Scheibe angenommen, von einem
kreisförmigen Fluß, dem Okeanos, umspült. Darüber wölbt sich die feste Halbkugel des Himmels; die Welt unterhalb der Erde umfaßt Hades, das Reich der Toten, und darunter Tartaros, den leeren,
dunklen Abgrund. (...) Wenn auch das numinose Moment des Mythos im griechischen Epos zurückgedrängt wird, bleiben im vorsokratischen Denken bei aller Rationalität noch Motive aus überlieferten
Mythen lebendig [gemäß Rozanskij, 1984]:
1. Vorstellung eines ursprünglich amorphen Zustandes der Welt; hierher gehören auch orientalische Wasserkosmogonien;
2. Scheidung von Himmel und Erde, auch des männlichen und weiblichen Prinzips der Weltschöpfung, wie im Mythos von Gaia und Uranos;
3. Prinzip der Entwicklung zu einer höheren Ordnung, wie in der Theogonie die Inthronisierung eines obersten gerechten Gottes;
4. Periodizität von Schöpfung, Untergang und Wiedergeburt des Weltalls.
Das große Thema der ionischen Naturphilosophie ist der Kosmos und seine Entstehung, damit in philosophisch-generalisierender Weise die Frage nach den letzten
Ursachen der Dinge. Diese Fragestellung ist im antiken Sinn physikalisch, insofern sie die Wesensmerkmale der Dinge, wozu auch die Ursachen ihrer Entstehung und Entwicklung gehören,
miteinschließt. Aber die Natur wird weiterhin als göttlich und beseelt angesehen. Es ist also der Gegensatz zwischen mythischer und physikalischer Naturauffassung latent vorhanden [gemäß Nestle,
1975]. (...) ANAXIMANDROS [ca. 611-546 v. Chr., Schüler von THALES] hat die Mythologisierung der Weltschöpfung weiter aufgehoben. Er hat an die Stelle göttlicher Mächte ein ewiges, alles
bewirkendes Urprinzip gesetzt, das gleichwohl als göttlich aufgefaßt werden kann. Der Ursprung von allem ist für ihn das Grenzenlose und qualitativ Unbestimmte, das Apeiron."
Volker Bialas: "Vom Himmelsmythos zum Weltgesetz -
Eine Kulturgeschichte der Astronomie" (1998)
"Auf jeder Stufe menschlichen Seins steht uns die unabänderliche Gnade zu, das Gewebe der Natur zu bilden. (...) Im Kreislauf unserer Mutter Erde geht nichts
verloren. (...) Das gesamte Universum wird vom sanften, nachhaltigen Atem der Gravitation erfüllt. (...) Gravitation ist Liebe. Die Gravitation ist es, die alle Dinge zusammenhält. (...) Es ist,
als würde alles von einem schweigenden NANA I KE KUMU durchwoben ... achte schweigend auf den Ursprung. (...) Ein kosmisches Kind der Liebe beginnt sich auszubreiten. Das Universum bringt einen
neuen, strahlenden, pulsierenden Atem mit sich, der erneut der Unendlichkeit entgegenweht. Die Art und Weise unseres Seins ist an eine so enge, selbst gewählte Zeit-Perspektive gekettet, dass wir
Dauer nur in unseren Spielzeugen erblicken - in unseren Bauwerken, Büchern, Monumenten und Kunstgegenständen. (...) Um unserer Beziehung zu Raum und Zeit Ausdruck zu verleihen, fassen wir den
kulturellen Überbau unseres Planeten ins Auge. (...) Wir werden krank, sobald wir uns über das Ausmaß dieses Überbaus Rechenschaft ablegen. Hier eine Pipeline und dort ein Stück Autobahn, ein
Staudamm quer durchs Tal - alles für die Ewigkeit gebaut! Es dauert nicht bloß eine Million Jahre, um den Grand Canyon entstehen zu lassen. ES DAUERT ZWANZIG MILLIARDEN JAHRE! (...) Mit unserem
Bemühen, die Natur ganzheitlich zu sehen, schwinden Raum und Zeit. Die Ereignisse innerhalb des Universums werden nicht mehr voneinander getrennt - sie werden dort lokalisiert, wo sie gerade
stattfinden. Werden wir nach der nächsten inneren Schwingung zu einem Verständnis für Raum und Zeit übergehen, das bei Null beginnt? (...) Die Begriffe von Raum und Zeit gehören möglicherweise zu
den eigentümlichsten Denkprozessen, die einen Abstand zwischen Kultur und Natur bewirken. (...) Der Planet verdient mehr als die Zungenfertigkeit und die Schlagwörter von Fanatikern. (...) Das
natürliche Bewusstsein muss mit dem kulturellen Bewusstsein in Einklang gebracht werden. (...) Es geht nicht mehr an, dass wir ziellos nach charismatischen Führern Ausschau halten, wie dies bis
anhin 'vorgelebt' worden ist. (...) Es gibt keinen Einzel-Weg - man erinnere sich des Tao: TAO, DAS ERZÄHLT WERDEN KANN, IST KEIN TAO. Hier liegt der Keim zur Auflösung des Fanatismus. (...) Wir
müssen uns der Mutter Erde zuwenden. Wir müssen uns dessen versichern, dass wir mit ihr sprechen, in ihr ruhen, sie lieben. (...) Spiritualität wird aus dieser wiedererrichteten Verbindung zum
Kosmos geboren. Es handelt sich um keine Religion. Religionen dienen dazu, die Menschen gegenseitig zu binden - um die Kulturen und die Götter menschlichen Kontextes auf eine Linie zu bringen.
Aber Spiritualität ist mehr als bloße Verbindung mit menschlicher Doktrin. (...) Unsere Quelle ist überall. (...) Jeder von uns kann einen Ort aufsuchen, wo er Wiedervereinigung findet - und
dieser kann sehr nahe sein. (...) Ganzheitlichkeit. Kinder sind dazu äußerst befähigt. Sie vermögen ihr Bewusstsein in alles zu versenken, mit allem zu verschmelzen und umzugestalten. Sie tun
dies, weil ihre Anlagen noch so eng mit beiden Müttern verbunden sind. Ihre menschliche und ihre planetare Mutter vermitteln ihnen virtuelles Bewusstsein, ozeanisches Bewusstsein und jenes
Bewusstsein, das in der ontogenetischen Reise durch all unsere stammesgeschichtlichen Vorfahren wurzelt. Sie haben es nicht vergessen; aus diesem Grunde können sie zu den Quellen ihres Seins
zurückkehren. (...) Wenn wir die Tatsache eines sich entwickelnden Bewusstseins akzeptieren, so müssen wir versuchsweise auch voraussetzen, dass diese Entwicklung in der Kultur zum Ausdruck
gelangen wird. Einige behaupten, dass die HUMAN POTENTIAL BEWEGUNG diesen Wechsel bezeuge - andere sehen darin lediglich einen Ausdruck von organisiertem Narzissmus. Einmal mehr stehen sich
Hoffnung und Zynismus gegenüber. Theodore Roszak, eindeutig ein Befürworter des aufstrebenden Bewusstseins, unterstützt die Bezeichnung HUMAN POTENTIAL BEWEGUNG keineswegs. Nach Roszaks Meinung
wohnt diesem Begriff eine Nebenbedeutung inne, die allzu politisch ist. Er glaubt - wie ich auch -, dass die Wiederherstellung planetaren Bewusstseins eine apolitische Angelegenheit sei. Roszak
bevorzugt den Begriff 'Mosaik': ein Human Potential Mosaik."
Bob Samples: "DER GEIST VON MUTTER ERDE -
Ganzheitlichkeit und Planetares Bewusstsein" (1981)
"Nur wer hinter all den Strukturen die Erste Wirklichkeit erfährt, hat Sinn und Ziel der Religion verwirklicht. Es bleibt daher für die Religionen wichtig, ihre
Begriffe, Symbole und Bilder durchsichtig zu halten, damit sie das, was sie offenbaren wollen, nicht verdecken. (...) Der Kosmos ist eine große Symphonie, die in vielen Variationen erklingt.
Niemand hat sie komponiert, niemand dirigiert sie von außen. ES erklingt als diese Symphonie. Jede Form ist eine ganz individuelle Note, einmalig und unverwechselbar. Darin liegt auch unsere
Würde und Individualität. (...) Ein spiritueller Weg läßt sich an jedem Ort gehen. Er braucht keine Religion, kein Dogma, keine organisierte Gemeinschaft, keinen Tempel und keine Kathedrale, man
muß sich nicht die Haare scheren lassen und keine schwarzen Gewänder anziehen. (...) Mystiker lehnen die Religion nicht ab. Sie verweisen nur auf das Eigentliche, das sich hinter Worten und
Bildern verbirgt. Sie möchten die Urerfahrung der Ersten Wirklichkeit ganz persönlich zum Ausdruck bringen. Die Institutionen wollen das nicht hinnehmen. (...) Mystiker wählten daher oft die
Sprache der Dichtung. Sie ist meist unverfänglicher, kann aber von den Eingeweihten gedeutet werden. (...) Das Sichtbare, Hörbare und Spürbare führt in die Leerheit und aus der Leerheit zur
Realisation der Wirklichkeit und zur Rückkehr ins Leben. (...) Der Tod des Ich ist die Voraussetzung für die Erfahrung des Einen. Wo kein Ich mehr ist, ist auch kein Gegenüber, auch kein Gott.
Auch wenn die Mystik dieses Wort Gott immer noch zur Bezeichnung dieser namenlosen Wirklichkeit gebraucht, haftet ihm nichts Personales mehr an. Alle Hoffnungsbilder und religiösen Versprechen
fallen wie ein Kartenhaus zusammen. Es bleibt das, was die Mystik mit Nichts bezeichnet. (...) Hier gibt es auch keine Religion mehr. Die Erfahrung ist transkonfessionell, transpersonal,
nicht-dual und jenseits aller Konzepte."
Willigis Jäger: "Jenseits von Wort und Weihrauch" (1999)
"Die Menschen der Zukunft werden 'Erwachte' sein. (...) Es geht immer um die Erfahrung hinter allen Bildern und Vorstellungen. (...) Ein wirklich religiöser
Mensch übersteigt sein Glaubensbekenntnis. (...) Aber das Nichts ist nicht Nichts. Es ist der Hintergrund allen Seins und die wahre Einheit aller Religionen. Die Wendezeit für die Religionen ist
angebrochen. (...) Es gibt innere Räume, Ebenen, Welten, die kosmisches Ausmaß haben und alle rationalen Erkenntnisse übersteigen. Es gibt eine Metaerfahrung (mystische Erfahrung), die viel
umfassender ist als alles, was Intellekt und Sinne uns begreiflich machen können. (...) Wo der letzte Grund liegt, konnte uns die mechanistische Auffassung nicht sagen. (...) Wer sich auf einen
der esoterischen Wege der großen Religionen einlässt, leistet die eigentliche Arbeit für die Bewusstseinsveränderung in unserer Welt. (...) Eine unglaubliche Stille entstand. Ich könnte sagen:
eine absolute Leere. Aber die Leere hatte eine Qualität. In ihr war kein Ich. (...) Die vom Intellekt geschaffene Scheinrealität hob sich auf. In der Stille gab es keine Bilder mehr und alle
Worte, die das erklären wollen, sind missverständlich. Da war kein Gott. Da war nur Unendlichkeit. Das ganze technokratische, systeminterne, theologische Glaubensgebäude schmolz zusammen. (...)
Eine tiefe Ehrfurcht vor allem und eine heilige Ehrfurcht vor mir selber, vor meiner eigenen Würde, ergriff mich. Diese Erkenntnis war gepaart mit einer großen Demut. Und noch etwas wurde mir
klar: Im Handeln des Terroristen steckt auch meine Wut und meine Aggression. Nichts ist getrennt in diesem Lebensstrom. Alles, was wir tun und denken, wirkt auf das Feld Mensch ein. Unser
Lebenswandel hilft anderen oder hindert andere. Und das nicht so sehr auf der materiell-psychischen Ebene, sondern auf der transpersonalen Ebene. (...) Nicht mein aktives Handeln wird die Welt
verändern, sondern meine Liebe. Am Ende unseres Lebens werden wir nicht bestraft, wir dürfen erkennen, wie sehr wir gegen die Liebe verstoßen haben. (...) Es ist der Hintergrund, aus dem alle
Theologie kommt und auch heute kommen sollte, nicht aus dem Wissen, sondern aus der Erfahrung dessen, was in den Büchern steht. Die Aussagen der großen Weisen begannen zu leuchten. Jeder
Absolutheitsanspruch erschien lächerlich. (...) Der ganze Kosmos ist die Inkarnation dieser Wirklichkeit, die wir Gott nennen. Leerheit und Form sind nur zwei Aspekte des Einen. Zwei Enden an
einem Stab. Eigentlich existiert nichts. Es ist alles leer. Nichts besitzt Permanenz. Und gleichzeitig gewinnt die ganze Schöpfung an Bedeutung. (...) Damit werden wir in den Alltag verwiesen, wo
alle Mystik beginnt und endet."
Willigis Jäger: "Wiederkehr der Mystik -
Das Ewige im Jetzt erfahren" (2004)