"Der Ursprung ist immer gegenwärtig. Er ist kein Anfang, denn aller Anfang ist zeitgebunden. Und die Gegenwart ist nicht das
bloße Jetzt, das Heute oder der Augenblick. Sie ist nicht ein Zeitteil, sondern eine ganzheitliche Leistung, und damit auch immer ursprünglich. (...) Wem in seinen besten Stunden Gegenwart nichts
ist als ein zeitverhafteter Augenblick, der wird die heute sich anbahnende Umstrukturierung nicht mitleisten können. Dies wird wohl nur jenen gelingen, denen Gegenwart zum zeitfrei gewordenen
Ursprung wird, zur immerwährenden Fülle und Quelle des Lebens und des Geistes, aus denen heraus sich alle entscheidenden Konstellationen und Gestaltungen vollziehen."
Jean Gebser, in: 'URSPRUNG UND GEGENWART' (1947/48 & 1951/52)
"Heute aber ist es generell, abendländisch gesehen, nicht mehr damit getan, beispielsweise mittels der Poesie die Gegenwart aus
dem Alltag herauszuheben und mittels ihres mystischen Elementes die Überwindung der unpoetischen Zeit zu verwirklichen. Der heutige Weg führt dank des bewußt realisierten Einbruches des Zugleich
nicht in die Ichlosigkeit zurück, sondern über die Ichhaftigkeit hinaus in die Freiheit des Ich, in das Befreitsein vom Ich und der Egozentrik: in die Ichfreiheit. Es handelt sich nicht mehr um
mystische Überwältigung oder Versenkung [die traditionelle Art des Samadhi], sondern um die nüchterne Teilhabe am Ursprung, die sich nicht im heiligen Rausch, sondern in der Überklarheit der
Transparenz ereignet, wenn in urplötzlicher Erleuchtung [Satori] das an sich Unsichtbare, alles durchstrahlend, wahrnehmbar wird."
Jean Gebser, in: DER UNSICHTBARE URSPRUNG (1970)
"Der Kernpunkt der Erfahrung scheint die innere Gewißheit zu sein, daß das unmittelbare JETZT, wie immer es geartet sein mag, das Ziel und die Erfüllung allen Lebens ist. (...) Die Sprache, die eine solche Erfahrung in Worte faßt, ist mehr so etwas wie ein Ausruf. Oder besser noch, es ist eher Sprache der Dichtkunst als die der Logik, obwohl nicht Dichtkunst im verarmten Sinn des logischen Positivisten, im Sinn dekorativen und schönen Nonsens. Denn eine Art Sprache gibt es, die möglicherweise etwas mitteilen kann, ohne tatsächlich in der Lage zu sein, es zu sagen."
Alan Watts, in: Dies ist ES - Über Zen und spirituelle Erfahrung (1958)
"Wieviel Unsinn! Man liest eben rasch und oberflächlich,
und man urteilt, ehe man etwas verstanden hat."
Jean-Paul Sartre, in: WAS IST LITERATUR (1950)
Tom Toys, 13./14.1.1995,
in Anlehnung an Rolf Dieter Brinkmann
DIE GEGENWART MACHT WEITER
wenn sie nicht da ist
dann ist sie gerade woanders
während ich hier bin
ich bin ja immer
von irgendetwas umgeben
das läßt sich nicht vermeiden
die dinge wechseln so schnell
obwohl ich sie in jedem moment
so sehe als seien sie immer da
aber sie lassen mich irgendwann
alleine während schon neue kommen
die ich dann auch wieder so sehe
menschliche dinge und auch unangenehme
wobei mir die menschlichen auf dauer
doch lieber sind als die die wehtun
nur daß sie alle wehtun
wenn sie wieder weggehen
weil sie nicht bleiben
können
irgendwelche gründe und zusammenhänge
scheint es da zu geben daß sie
mal in meiner reichweite sind und mal nicht
wobei ich gestehen muß daß mir
die gegenwart auch anders vertraut
ist
wie eine unendliche ausdehnung
und plötzlich ist tatsächlich immer alles
überall da und meine hände können es begreifen
als ob sich mein hirn im aufgelösten körper verteilt
aber das ändert nichts daran
daß ich dich fest umarmen will
so oft du mir so nah bist
um die gegenwart ein bißchen
auszutricksen mit ihrer
blöden
blöden vergänglichkeit
jetzt hab ich das wort doch gesagt
obwohl das ja verboten ist
in einem guten gedicht