"Kunst allgemein, und die überwiegend von einzelnen Menschen allein produzierte und rezipierte Literatur besonders, verwendet Allgemeines und Öffentliches, Formen und Konventionen, um Besonderes und Persönliches zu sagen, und klagt damit den symbolischen öffentlichen Schutz des Nichtöffentlichen ein. (...) Die wahrhaft teuflische Ironie am Standort Deutschland, der die moderne kommerzielle Jugendkultur vor gerade mal einem halben Jahrhundert aus Amerika und England importiert hat, ist dabei aber, daß hier der stumpfsinnigste denkbare Abhub schlecht-einfältigen Kunsthandwerks neuerdings nicht mehr Schunkeln und Gartenzwerg heißen will, sondern Pop." Dietmar Dath:
Die wo so singen tun, wie sie der Schnabel gewachst hat
(F.A.Z. 10.2.2005, Nr.34, S.37)
"So neige ich zu der Ansicht, daß diese Schulen eher durch die Exzentriker, die dem System Widerstand leisten, gerechtfertigt sind als durch die Konformisten,
die es produziert. Es stellt sich heute heraus, daß das gleiche für beinahe ALLE Schulen und Universitäten gilt. Aus ihrer Produktion kommen stereotype Angestellte und Konsumenten für die
Industrie - eine Industrie, die überwiegend nichtmenschliche Bedürfnisse befriedigt, sondern immer mehr dem abstrakten Zweck zweifelhaften technischen Fortschritts um seiner selbst willen, der
Jagd nach Geld sowie der Konkurrenz um den Preis eines schillernden, aber hohlen Status dient. Die Märkte sind überflutet von Dingen, die ich und andere, die zur Vernunft gekommen sind, nicht
kaufen wollen. (...) Ich hätte als Lehrplan Überlebenstechniken sowohl für die natürliche als auch für die urbane Wildnis gewählt. Ich wünschte, ich hätte Unterricht in ... den Anfangsgründen der
Medizin, in Sexualhygiene, ... in Astronomie, ... gehabt; ... in Semantik und Psychologie, in Mystik und Yoga, in Elektronik und mathematischen Denkspielen, in Theater und Tanz, in Singen und dem
Musizieren nach dem Gehör; dazu im Wandern, fortgeschrittenen Tagträumen, ... Techniken der Selbstbefreiung aus der Gefangenschaft, in Verkleidungskünsten, im Sprechen mit Vögeln und anderen
Tieren, ... in planetarischer Geschichte ... Aber das Wichtigste, was meiner Erziehung fehlte, war, die rechte Liebe zu meinem eigenen Körper zu lernen; denn man getraute sich nicht, etwas
wertzuschätzen, was so offensichtlich sterblich und so anfällig für Krankheiten war."
Alan Watts, in: ZEIT ZU LEBEN (1972)
"Die Spielsachen und Spiele, die ihnen Freude machen sollen, die Bücher, die sie lesen, und die Manierismen, die sie annehmen sollen, und nicht zuletzt die Schulen, in denen sie auf der Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners sich gegenseitig nachäffen, kann ich nicht ausstehen. Mit dem Säugling, der noch Spaß an Unsinn hat und der sich spontan auf unprogrammierte Spiele einlassen kann, fühle ich mich ganz wohl und dann wieder mit dem Heranwachsenden, der die Gehirnwäsche, der er ausgesetzt ist, in Frage stellt. Aber die verniedlichte 'Welt der Kindheit' ist ein Schwindel, ein Disneyland aus Plastik, eine von frustrierten Fratzen bevölkerte Welt, die herauskriegen wollen, warum sie nicht als Menschen behandelt werden." Alan Watts, in: ZEIT ZU LEBEN (1972)
Tom Toys, 20.3.1996
(anläßlich meiner Lesung an einer Kölner Realschule)
SCHULGEDICHT
das hier ist ein schulgedicht
es reimt sich mal und
mal auch nicht
das ist das schlechteste
gedicht das ich besitze
weil es weder antwort gibt
noch fragen stellt und
offen läßt es gilt
bei frost wie sommerhitze
ohne etwas auszusagen
weil der inhalt öde ist
ich hasse schulgedichte
wie die pest wenn sie
nichts ungereimtes wagen
bleibt die deutsche stunde
blöde und verschwendet
das gedicht das endet hier
(c) entnommen aus der Anthologie:
"Jedwede Form ist in Wirklichkeit eine Bewegung, und jede lebende Sache ist wie der Fluß, der, würde er nicht irgendwo
ausströmen, nie imstande wäre, einzuströmen. Leben und Tod sind nicht einander entgegengesetzte Kräfte; es sind lediglich zwei verschiedene Arten, die gleiche Kraft zu sehen, denn die Bewegung
des Wechsels ist ebenso aufbauend wie zerstörend. Der menschliche Körper lebt, weil er ein Gefüge von Bewegungen ist, von Kreislauf, Atmung und Verdauung. Zu versuchen, dem Wechsel zu
widerstehen, sich ans Leben zu klammern, ist daher so, als ob du den Atem anhieltest. (...) Wenn du dir das sorgfältig betrachtest, wirst du sehen, daß Bewußt-Sein - die Sache, die du das
geistige ’ICH’ nennst -, in Wirklichkeit ein Strom von Erfahrungen, Empfindungen, Gedanken und Gefühlen ist, ständig in Bewegung. Aber da diese Erfahrungen Erinnerungen enthalten, sind wir unter
dem Eindruck, daß dies ’ICH’ etwas Feststehendes und Bewegungsloses ist, gleich einer Tafel, auf die das Leben seine Aufzeichnungen macht. Da diese ’Tafel’ sich mit dem schreibenden Finger
bewegt, wie der Fluß mit dem Wellengekräusel entlangfließt, ist Erinnerung wie ein Bericht auf Wasser geschrieben, ein Bericht, nicht fest eingraviert, sondern von Wellen, die von anderen Wellen
bewegt werden und die man Eindrücke und Tatsachen nennt. (...) Das geistige ’ICH’, das nicht verstehen will, daß es ebenfalls ein
Teil vom Strom des Wechsels ist, wird versuchen, aus Welt und Erfahrung einen Sinn zu machen, indem es sie zu fixieren trachtet. So kommt es zu einem Krieg zwischen Bewußtsein und Natur, zwischen dem Wunsch nach Beständigkeit und
der Tatsache des unaufhörlichen Wechsels. (...) Der einzige Weg, dem Wechsel Sinn zu geben, ist sich hineinzustürzen, mitzugehen und sich dem Tanz anzuschließen. Religion, wie die meisten
von uns sie kannten, hat ganz offenbar versucht, durch ’Festlegung’ diesem Leben Sinn zu geben. Sie hat versucht, diese vorübergehende Welt dadurch sinnvoll zu machen, daß sie sie in Beziehung
setzte zu einem unwandelbaren Gott, und Ziel und Zweck in einem unsterblichen Leben zu sehen, in dem das Einzelwesen eins wird mit der unwandelbaren Natur der Gottheit. (...) So haben wir uns
selbst ein Problem geschaffen, indem wir das Verständliche mit dem Festgelegten verwechselten. Wir sind der Ansicht, daß es unmöglich ist, aus diesem Leben einen Sinn zu machen, es sei denn die
Flut der Ereignisse ließe sich in einen starren Rahmen fügen. (...) Der Ursprung dieser Schwierigkeit besteht darin, daß wir die
Macht des Denkens so schnell und einseitig entwickelt haben, daß wir darüber die richtige Relation zwischen Gedanken und Ereignissen, Worten und Dingen vergessen haben. (...) Diese
einseitige Entwicklung des Menschen ist ... ein besonders auffälliges Beispiel für eine Tendenz, die unsere gesamte Zivilisation beeinflußt hat. (...) Die Beziehung zwischen Gedanken und Bewegung
ist etwa wie der Unterschied zwischen dem lebendigen Menschen, der läuft, und einem Film, der dieses Laufen mittels einer Folge bewegungsloser Bilder zeigt."
Alan Watts, in: WEISHEIT DES UNGESICHERTEN LEBENS
(1951, aus dem 3.Kapitel 'Der große Strom')