RÜGEN - Kurzurlaub 2017

Satirische Kunst im Zeitalter der digitalen Fakes

Zum 49.Geburtstag schenkte mir meine Freundin einen Kurzurlaub mit Hotelunterkunft in Stralsund, so daß wir die größte deutsche Insel RÜGEN erkunden konnten. Dank des nass-nebeligen Januar-Wetters erlebten wir die Kreidefelsen am Königsstuhl in einer romantischen Atmosphäre, die mich an die berühmten Bilder von Caspar David Friedrich erinnerte. Dadurch kam mir die Idee, meine 6 Fotos als Fake-Gemälde zu präsentieren: weder sind es Ölgemälde noch sind es echte Rahmen - es sind nur digitale Fotos, die mithilfe einer "Photo Editor App" so nachbearbeitet wurden, daß sie von C.D.F. sein könnten. Um den Zeitgeist der heutigen schnellebigen, kurzlebigen "EPOCHE DIGITALER TRIVIALITÄT" (Neue Beliebigkeit) konsequent provokativ darzustellen, werden auch diese 6 Arbeiten auf der nächsten Jahresausstellung des Vereins "Düsseldorfer Künstler" wieder als billige Farbkopien in ordinären Laminaten präsentiert, die mit sichtbarem Tesafilm an der Wand befestigt so wirken, als habe man vergessen, sie zu entfernen, wo eigentlich "Hohe Kunst" statt Hobbykunst hängen sollte...

"Das Kunstwerk ist grundsätzlich immer reproduzierbar gewesen. (...) Das Hier und Jetzt des Originals macht den Begriff seiner Echtheit aus. (...) Das reproduzierte Kunstwerk wird in immer steigendem Maße die Reproduktion eines auf Reproduzierbarkeit angelegten Kunstwerks. Von der photographischen Platte z. B. ist eine Vielheit von Abzügen möglich; die Frage nach dem echten Abzug hat keinen Sinn. (...) Die simultane Betrachtung von Gemälden durch ein großes Publikum, wie sie im neunzehnten Jahrhundert aufkommt, ist ein frühes Symptom der Krise der Malerei, die keineswegs durch die Photographie allein, sondern relativ unabhängig von dieser durch den Anspruch des Kunstwerks auf die Masse ausgelöst wurde. (...) Auf die merkantile Verwertbarkeit ihrer Kunstwerke legten die Dadaisten viel weniger Gewicht als auf ihre Unverwertbarkeit als Gegenstände kontemplativer Versenkung. Diese Unverwertbarkeit suchten sie nicht zum wenigsten durch eine grundsätzliche Entwürdigung ihres Materials zu erreichen."

Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. (1935)

PERFEKT VERPIXELT: Fotokunst von Tom de Toys

Tom de Toys begann in den 80ern des letzten Jahrhunderts mit abstrakter Malerei, bevor er bildergänzend dazu Gedichte schrieb. Aber auch die Fotografie begeisterte ihn schon früh, wobei er technisch perfekt inszenierte Fotos als langweilig und leblos empfand. In den 90ern fotografierte er daher nur spontan mit einer billigen Pocketkamera morbide Asphalt-Stilleben in Köln, und später mit den ersten, schlecht aufgelösten Handys (nicht 500KB bis 5MB, sondern skandalöse 5-20KB waren damals normal!) jene erstaunlichen Fotos, die nun in einer Best-of-Auswahl als farbige Bildband-Trilogie vorliegen. In den drei Büchern "JETZT ODER NIE" (www.Fotomie.de 2014), "BROKEN BIKES" (www.BrokenBike.de 2015) und "BOREOUTYOGA" (www.Neuro2go.de 2016) finden sich Fotos aus Düsseldorf, Jülich, Berlin, Wien (wie z.B. das hier gezeigte Broken Bike vom 6.10.2009), Köln, Venedig, Mallorca, Florenz, Falster, Kopenhagen und Hannover. Aufgrund seiner jahrelangen vorrangigen Bühnenpräsenz als Lyrikperformer in der Offszene kennen nur wenige seine stillen künstlerischen Werke jenseits der Live-Literatur, obwohl er auf einigen Gruppenausstellungen (wie z.B. 1996 "Die Düsseldorfer" im Düsseldorfer Ehrenhof-Kunstpalast und 2007 "Querschnitt 20" im Berlin-Kreuzberger Kunsthaus Bethanien) einzelne Arbeiten gezeigt hatte. Auch mehrere Einzelausstellungen von trashig verpixelten Fotos gab es bereits immer wieder in legendären Berliner Szene-Galerien (z.B. die Serien mit Parkbänken, Kanaldeckeln und dem Bustürschild "Sch()ießen automatisch"). Seine erste Düsseldorfer Ausstellung von Fotografie fand 2015 im Amtsgebäude des Bau- und Liegenschaftsbetriebes statt. 2016 zeigte De Toys dann eine Kombination aus digitalen Landschaftszeichnungen und den dazugehörigen Fotomotiven der dänischen Boreoutyoga-Serie in der Düsseldorfer Christuskirche im Rahmen der Jahresausstellung des Vereins "Düsseldorfer Künstler". Das Jahr 2017 steht für Tom de Toys ganz im Zeichen der fotografischen Illusion klassischer Malerei: mehrere Fotos entstanden von den Kreidefelsen auf der Insel Rügen, die in digitalen Goldrahmen einer Foto Editor App bereits im brandneuen englischen Gedichtband "THE VERY MOMENT" (www.m0ment.de) farbig abgedruckt wurden. Wüsste man nicht, dass es sich um nachbearbeitete Handyfotos handelt, könnte man meinen, verschollene Bilder von Caspar David Friedrich wären wieder aufgetaucht. Hier wird nebenbei zeitgemäße Kunsttheorie und Kunstkritik einer Wahrnehmungsästhetik betrieben, die bei Kollegen nicht immer auf Verständnis stößt, auch und vorallem, wenn die Arbeiten konsequenterweise als schlichte Farbkopien in billigem Laminat präsentiert werden: ein Verwirrspiel aus reproduktiver Beliebigkeit und doch exponierter Bedeutungshoheit - digitaler Dada vom Feinsten als Kritik an einer banalen Alltagswelt, in der mittlerweile jeder zweitbeste Hobbykünstler das oberflächlich Glamouröse technisch perfekt inszenieren kann, aber spirituelle Fragen nach existenziellem Sinn nicht gestellt werden...

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