"Ich kann nicht 'anfangen'. Ich springe einfach über das, was Anfang sein müßte, weg. Nichts ist so stark wie das Schweigen. (...) Es ist kein Zufall, daß er in einem Kleid ohne Naht herumging, und ich glaube, der Lichtkern in ihm, das was ihn so stark scheinen machte, Tag und Nacht, ist jetzt längst aufgelöst und anders verteilt. Aber das wäre ja auch, mein ich, wenn er so groß war, das Mindeste, was wir von ihm fordern können, daß er irgendwie ohne Rest aufgegangen sei, ja ganz ohne Rest - spurlos. (...) Zwingt uns nicht immer zu dem Rückfall in die Mühe und Trübsal, die es ihn gekostet hat, uns, wie ihr sagt, zu 'erlösen'. Laßt uns endlich dieses Erlöstsein antreten." Rainer Maria Rilke, in:
BRIEF DES JUNGEN ARBEITERS (1922)
Tom de Toys, 10.01.2004, KingKong Klub 21-23 h,
Live-On-Air-Uraufführung: 24 h Radioriff 104,1
PARALLELTHEATER ( INTERAKTIVE INSIDER )
Vom Weltspektakel zum "Theatre Slam"
Manchmal würde ich dann doch ganz gerne eine richtige geschichte schreiben, mit figuren, hochkomplexen charakteren,
hauptdarstellern, plot, komparsen, nochmal plot und mindestens in jedem satz direkte rede. so eine geschichte, die sich sogar fürs theater aufbereiten ließe, ja sogar für zwei, in denen parallele
szenen zeitgleich aufzuführen wären. und natürlich multimedial vernetzt: als bühnenbild die echtzeit-übertragung aus dem jeweils anderen theater, dialoge zwischen jeweils virtuellen randfiguren,
die sich über kameras anstarren, auf den beiden bühnen die allmähliche zerstörung aller requisiten. und gewinnen dürfte, wer als erster das jeweilige publikum noch während der vorstellung verjagt
oder die meisten leute aus dem anderen theater zu sich locken kann. bestenfalls befände sich, natürlich pünktlich wenn die vorhänge fallen, in jedem der theater das komplette publikum des
anderen. dann würde der applaus entscheiden. falls der gleich stark ausfiele, müßte man die zeitungen abwarten. der radikalste verriß ergäbe goldmedaille, der verlierer bekäme selbstverständlich
silber. so eine geschichte würde ich manchmal wirklich gerne schreiben. noch dazu, wenn ich bedenke, daß solch eine ungewöhnliche erfolgsgeschichte kein jahr später schon als spielfilm in die
kinos käme und nach zwanzig jahren nochmal eine neuverfilmung möglich wäre. das sind alles großartige aussichten auf reichtum, ruhm und einladungen zu allen partys jeden abend rund um den
planeten. mit der eigenen maschine flöge ich von einem wichtigen event zum nächsten, wäre überall dabei, mit allen anderen befreundet, die dasselbe täten, weil ein jeder irgendwann einmal so eine
einmalige geschichte aufgeschrieben hätte. und es gäbe dadurch immer wahnsinnig aufregenden gesprächsstoff, immer neue frisch geschriebene geschichten, die man sich erzählen würde, noch bevor sie
auf der bühne landeten. das wäre der ganz heiße draht zur permanenten zukunft, immer einen schritt dem volk voraus, schon eingeweiht in die entstehung einer weiteren geschichte, längst bevor die
massen ahnten, was sie morgen konsumieren würden. immer informiert, hautnah und live dabei, bevor es überhaupt passierte. ja, ich wüßte alles, längst bevor es offiziell erfunden wäre. ach, ich
hätte den totalen überblick, ich wäre ein verschwörer und mein einfluß wäre grenzenlos. ich wäre gott. das einzige problem an dieser simplen sache ist, daß ich noch immer keinen plot gefunden
habe, weder plot noch charaktere. als ich heute wieder einmal vor die tür ging, raus in die reale welt, wo autos fahren, menschen in büros vor monitoren sitzen, einkaufstüten in diversen größen
an der kasse unterm fließband liegen, kinder von der schule kommen, arbeitslose lernen, wie man sich korrekt bewirbt, politiker frühmorgens debattieren, terroristen erst gemütlich frühstücken und
von den riesigen plakatwänden die neuesten kleidungsstücke, die noch keiner trug, beworben werden - da konnte ich mich nicht entscheiden, welche der geschichten wohl die beste wäre. alles war so
schön, so schön, ich fühlte mich von dieser schönheit restlos überfordert. jede der geschichten hatte ihren reiz, in jedem einzelnen detail entdeckte ich ein ganzes universum, überall nur
hauptdarsteller, eine welt aus tausend parallelen bühnen. alles war so unglaublich vorhanden, existent. vor meinen augen tanzten moleküle, sonnenlicht durchflutete die ozeane, schwarze löcher
fraßen sich durch galaxien. ich wollte einfach keine einzige geschichte mehr aufschreiben, wollte keine einzige noch nicht einmal erleben. ich war satt. so satt von diesen bildern, ja ich hatte
es so satt, das sogenannte echte leben. diese unausweichlichkeit. das einzige, was mich noch tief berührte, war die leere, die durch alles heimlich durchschimmerte. eine unsichtbare leere, die durch alles glühte, die sich sanft und freundlich zwischen meine zellen legte, meinen körper nach und nach aushöhlte, schließlich jede einzelne
hautpore sprengte und als schwebendes bewußtsein durch mein rest-ich flüsterte: WIR SIND JETZT DA WO NUR DAS IST WAS NICHT IST...
"Alles was er sagte hatte eine seltsame wahrsagende Gewalt; durch alles, was in oft fast atemlosen Gesprächen dahinstürzte, sah man gewissermassen den Grund, die Steine auf dem Grunde ... ich will damit sagen, mehr als ein nur Unsriges, die Natur selber, ihr Ältestes und Härtestes, das wir doch an so vielen Stellen berühren und von dem wir wahrscheinlich in den getriebensten Momenten abhängen, indem sein Gefäll unsere Neigung bestimmt."
Rainer Maria Rilke, in: BRIEF DES JUNGEN ARBEITERS (1922)
"Nur im gesetzlosen Raum kommt es zu Kontakten, / wenn das Gierverhalten der Kapseln übereinstimmt."
Bert Papenfuß, in: DER GESETZLOSE RAUM, aus: RUMBALOTTE CONTINUA. 7. Folge (Verlag Peter Engstler, 2010)
Tom de Toys, 10.3.2010
NEUE KURZVERSION ZUR ENTSTEHUNGSGESCHICHTE DER POPSCHAMANISTISCHEN ANTIPROSA "PARALLELTHEATER (INTERAKTIVE INSIDER)" VOM
10.1.2004
...warum es keine echte kommunikation sondern nur SUBTILES desinteresse (als unbewußte egomanie) zwischen den menschen gibt: von diesem ganzen
wochenend-partyvolk, das sich SCHEINBAR mit mir im SELBEN kosmischen OFFENEN außenraum befand, waren allesamt von imaginären HÜLLEN oder HAUT umgeben, wie unter hauben oder in blasen! eigentlich
geschah ihr sitzen, essen, sprechen, spazierengehen (und extrem auffällig: ihr autofahren) gar nicht im realen außenraum sondern in geschützten innenräumen, die sie lebenslänglich vor dem OFFENEN
(grenzenlosen, bodenlosen, grundlosen) bewahren! und mir wurde klar, warum zum beispiel ein autounfall, selbst wenn sich niemand verletzt, trotzdem einen schock und manchmal panik bei den leuten
auslöst: weil sich die blasen im echten außenraum zu nahe kamen, sich berührt hatten und dadurch zum platZen gebracht wurden:
plötzlich reißt eine solche ECHTE situation die beteiligten aus ihrem dumpfen trott und erzeugt eine echte außensituation, die allen den boden unter den füßen wegreißt. und noch schlimmer: zum
ZWISCHEN-menschlichen kommunizieren zwingt! das unfaßbare und schreckliche ist für diese ULTRAKURZAUFWACHER gar nicht der miterlebte tod und schmerz der opfer sondern das eingeständnis, dem
OFFENEN letztlich doch ausgeliefert zu sein! danach schlüpft man automatisch ganz schnell wieder in seine eigene bewußtseinsblase und vergißt diese überwältigende
ECHTZEITgegenwartsgegenwärtigkeit wieder zugunsten einer eingebildeten VORzeitlichen weltkonstruktion, die mithilfe des 'gemeinsamen' konsums von eventösen oberflächen das gefühl von sicherheit
gibt, derer man sich sogar gegenseitig immer wieder vergewissern kann. eben die umfassende psychomatrix als selbsttäuschung, man befände sich in der realen außenwelt, nur weil ja andere menschen
ebenfalls in ihren parallelblasen beobachtbar und durch das leistung-/ gegenleistungsprinzip mißbrauchbar sind zur eigenen selbstvergewisserung, ohne daß irgendwer unter dem bewußtseinsfake
leiden braucht, denn alle profitieren auf gruseligste weise voneinander, ohne je WIRKLICH MITEINANDER in berührung zu kommen...
"Wollen wir ernstlich auf den Grund des Lebens hinabtauchen, so müssen wir die uns lieben und gewohnten logischen Schlüsse opfern und uns einen neuen Weg der
Betrachtung eröffnen, auf dem wir der Tyrannei der Logik entrinnen und ebenso der Einseitigkeit unseres alltäglichen Sprachgebrauchs. So paradox es klingen mag, Zen besteht darauf, daß wir den
Spaten in leeren Händen halten sollen, und daß es nicht das Wasser sondern die Brücke ist, die unter unseren Füßen dahinfließt. (...) Zen will, daß wir einen völlig neuen Standpunkt erreichen,
der es uns gestattet, in das Mysterium des Lebens und in die Geheimnisse der Natur Einblick zu gewinnen. Dies ist vonnöten, weil Zen zu der endgültigen Überzeugung kam, daß unsere gewohnte
logische Denkweise unfähig ist, unsere tiefsten geistigen Bedürfnisse wirklich zu befriedigen. (...) Diese Brechung der Tyrannei von Namen und Logik ist gleichzeitig eine geistige Befreiung, denn
die Seele ist nicht länger im Zwiespalt mit sich selbst. Indem wir die intellektuelle Freiheit gewinnen, gelangt unsere Seele in den Vollbesitz ihrer selbst. Geburt und Tod quälen uns nicht
länger, denn es gibt nirgends in der Welt in Wirklichkeit eine solche Zweiheit, wir leben vielmehr gerade durch den Tod. (...) Hier setzt die Umwälzung ein. Wir haben nun den Punkt erreicht, von
dem aus die Welt sozusagen von innen her gesehen wird."
Daisetz Teitaro Suzuki, in: DIE GROSSE BEFREIUNG
(1958/1969, mit einem Geleitwort von C.G.Jung)
"Nur in der grenzenlosen Zeit kommt es zu Kontakten, / nach allem Stöbern und Tasten und trotz sinnlosen Akten."
Bert Papenfuß, in: DIE GRENZENLOSE ZEIT, aus: RUMBALOTTE CONTINUA. 7. Folge (Verlag Peter Engstler, 2010)