VOLLSTÄNDIGER NACHDRUCK! Anläßlich des "Autorenportraits" der Jülicher Nachrichten am
8.9.2009 über den in Jülich lebenden 10. Nahbellpreisträger KARL-JOHANNES VOGT stellte die
Lokalredakteurin Saskia Zimmer am 21.8.2009 folgende Fragen an Tom de Toys, dessen Antworten hier in Originallänge zu lesen sind...
1. Was genau ist der Nahbell-Preis?
Der sogenannte Nahbellpreis (zusammengesetzt aus Nähe, Gebell und Nabel) ist ein Literaturpreis für deutschsprachige zeitgenössische
Lyrik, der einmal im Jahr (am 21. Juni) an LEBENDE DichterInnen vergeben wird und dieses Jahr zum zehnten Mal einem mehr oder weniger unbekannten Autor höchsten Respekt zollt.
2. Wie entstand die Idee dazu, seit wann gibt es ihn?
Aufgrund der wachsenden Kritik am traditionellen Nobelpreis wurde der Nahbellpreis im Jahre 2000 ins Leben gerufen und wird von der Trademark "POEMiE" idealistisch gefördert. Bis heute konnte leider kein Preisgeld ausgezahlt werden, da sich noch keine Großsponsoren fanden, die diese visionäre Notwendigkeit
nachvollziehen. Die Gewinner erhalten nur eine symbolische Urkunde, aber seit neuestem ergibt sich ab und zu sogar die Möglichkeit, eine kleine Publikation in enger Zusammenarbeit mit
dem Gewinner herauszugeben.
3. Wer sind die Köpfe, Institutionen dahinter?
Hinter dem Nahbellpreis steckt das G&GN-Institut (die Abkürzung steht für "Ganz & GarNix"), das 1990 von mir persönlich in Köln gegründet wurde und seit 2005 vom Berliner Bezirk Neukölln
aus agiert. Phasenweise ist das Institut mit seinem angegliederten Kleinstverlag ein 1-Mann-Betrieb, dann wieder bilden befreundete Kollegen temporär eigene Filialen für gezielte Projekte.
4. Was muss man tun, um den Nahbell-Preis zu bekommen, welche Leistung zeichnet der Preis aus?
Der Nahbellpreis würdigt Lebenswerke und öffentliches Engagemnet solcher Poeten, die ansonsten in Vergessenheit zu geraten drohen oder im laufenden Literaturbetrieb zu wenig Aufmerksamkeit
erhalten. Gemäß dem Urkundentext sind lebenslängliche Unbestechlichkeit sowie stilistische Zeitgeistresistenz ausschlaggebend,
um unser Interesse zu wecken. Es gibt keine Altersbeschränkung, zumal bei manchen jungen Dichtern bereits ein ausgeprägter Hang zum originell "Eigenweltlerischen" und zu
künstlerischer Souveränität auszumachen ist, so daß der Preis durchaus auch auf deren hoffnungsvolle Zukunft als "Ausnahmeliteraten" verweist.
5. Wie kamen Sie auf Hans Vogt?
Karl-Johannes Vogt kennt mich bereits als kleinen Jungen (ich bin ein Jülicher!), da meine Eltern das Glück haben, zu seinem Freundeskreis zu zählen. Leider war ich damals noch zu jung und selber
kein Dichter, als seine Wohnzimmer-Lesungen regelmäßig stattfanden. Erst auf dem Begräbnis meiner Oma mütterlicherseits nahmen wir uns 1992 als Kollegen gegenseitig wahr: Ich hatte damals ein
eigenes Gedicht zur Beerdigung vorgetragen. Vor einer Weile schenkte er mir dann ein Exemplar seines bisher einzigen Romans, den ich bis heute nicht vollständig gelesen habe, da ich mich mit
Prosa allgemein sehr schwer tue. Aber: Genau dadurch wurde meine Neugier umso mehr geweckt, seine zahlreichen unveröffentlichten Gedichte zu lesen, und so nutzte ich jeden Besuch bei meinen
Eltern, um einen kostbaren literarischen Nachmittag bei ihm zu verbringen. Letztes Jahr habe ich ihn dann bei diversen Beratern des Instituts als Anwärter für den Preis vorgeschlagen und stieß
durchweg auf positive Resonanz. Auch die anderen bisherigen Preisträger zeigten sich hocherfreut über die Wahl!
6. Für welche Werke hat Hans Vogt den Preis bekommen?
Ausschließlich für sein umfassendes lyrisches Schaffen, wobei ja bislang kein einziges Gedicht veröffentlicht war! Aber das ändert sich nun: Im Herbst erscheint seine allererste
Einzelveröffentlichung mit 14 ausgewählten Gedichten pünktlich zu seinem 90. Geburtstag im Institutsverlag. Und ein Folgeband mit einer anderen Auswahl, nämlich mit des Dichters eigenen
Lieblingstexten, schwant uns bereits als Ergänzung vor. Die nötigen Mittel (Zeit, Geld und Personal) für eine Gesamtwerkausgabe stehen dem G&GN seit unserer
Insolvenz 2005 leider nicht zur Verfügung.
7. Was zeichnet diese Werke aus? Was ist das besondere daran?
Das Besondere an Vogts poetischen Miniaturen ist deren erstaunlich ruhiger und tiefer Blick auf die kostbare Wirklichkeit des alltäglichen Lebens: Ganz gleich ob er über seine Erfahrungen mit der
Liebe philosophiert oder das absurde Weltgeschehen oder die Natur aus der Nähe betrachtet, immer schwingt da eine sehr starke Bewußtheit der Hingabe an die Gegenwärtigkeit UND Vergänglichkeit des
"absoluten Augenblicks" mit, vergleichbar mit der Beschreibung von Realität in Zengedichten. Dadurch sind seine Texte hochkonzentriert und wirken trotzdem wie beiläufig notiert - das ist für mein
Empfinden einfach genial! Außerdem leistet sein Werk damit sowohl unter seelischen als auch soziologischen Gesichtspunkten einen wichtigen Beitrag zum
kulturellen Gedächtnis einer Zivilisation, die immer oberflächlicher und schnelllebiger wird. Das spirituelle Bedürfnis nach "innerer Mitte" und dem "Ankommen im
Jetzt" wächst zwar glücklicherweise wieder in der Bevölkerung, spiegelt sich allerdings im etablierten Literaturbetrieb ebenso ungenügend wider wie in der Politik.
8. Wann werden diese Werke veröffentlicht und in welcher Form?
Der G&GN-Verlag arbeitet quasi als Vorläufer des "books on demand"-Verfahrens seit 20 Jahren programmatisch "ISBN-frei" und auf
"Copy-Art"-Basis, so daß unsere Publikate (meist kleine kopierte und getackerte Hefte im Taschenformat) nur über Direktbestellung, auf Büchertischen bei unseren Lesungen, und über ausgewählte
Buchhandlungen mit schwer erhältlichem Sortiment lieferbar sind. Und natürlich auf Anfrage signierte Exemplare bei den Autoren unseres Verlages persönlich! Wir gehören damit
zu einer traditionsreichen Bewegung, die man gern als "Underground"- oder "Alternativ"-Literatur bezeichnet, und die seit der Beatliteratur der 50er Jahre prominente Vertreter
hervorgebracht hat, aber deren Wurzeln bis zu den dadaistischen 20er-Jahren zurückreichen. Dank Internet sind wir heutzutage natürlich leichter zu finden und freuen uns über jedes Interesse.
Schauen Sie doch einfach mal unter naHbellPREIS.de oder bei mir als Herausgeber im Blog vorbei: www.TomDeToys.de - bis
dahin: Helaaf aus Neukölle!!! :-)))
Lyrikmail #2009 (30.6.2009)
Karl-Johannes Vogt (*1919)
UTOPIE
Ich stelle unser Bett
In den Mondschein
Auf eine Brücke aus Licht
Die über den Strom führt
Der keinen Ursprung hat und kein Ziel
Auf eine Brücke
Aus Licht
Ohne Hin- und Herweg
(c) Entnommen aus:
"DAS FLUGZEUG ÜBER MIR WECKT KEINE SEHNSUCHT"
(Edition naHbell, G&GN-Verlag 2009)
SIEHE AUCH VOGTS POLITLYRIK "HAB MITLEID"
Ein expressionistischer Vorläufer von Vogts Weltwahrnehmung:
"Ich bin der reichste Mann der Welt! // Meine silbernen Yachten / schwimmen auf allen Meeren. // Goldne Villen glitzern durch meine Wälder in Japan, / in himmelhohen Alpenseeen spiegeln sich meine Schlösser, / auf tausend Inseln hängen meine purpurnen Gärten. // Ich beachte sie kaum. // An ihren aus Bronze gewundenen Schlangengittern / geh ich vorbei, / über meine Diamantgruben / lass ich die Lämmer grasen. // Die Sonne scheint, / ein Vogel singt, / ich bücke mich / und pflücke eine kleine Wiesenblume. // Und plötzlich weiss ich: ich bin der ärmste Bettler! // Ein Nichts ist meine ganze Herrlichkeit / vor diesem Thautropfen, / der in der Sonne funkelt."
Arno Holz (1863-1929), gefunden bei LYRIKMAIL (#2394)