Die sogenannte "Neue Lässigigkeit" versteht sich als STILMITTEL EINER LITERATURTHEORETISCHEN REPORTAGE-METHODE, die versucht, nicht nur von objektiven Fakten wahrheitsgetreu zu berichten sondern die subjektive Betroffenheit des Reporters miteinzubeziehen, um einen Artikel in seiner Menschlichkeit, Authentizität und damit letztlich auch in seiner Glaubwürdigkeit aufzuwerten! De Toys schrieb (u.a.als LORD LÄSSIG) Rezensionen, Reportagen, Essays und Kritiken, die seiner eigenen Vision einer "Neuen Lässigkeit" folgten, indem er sich als beteiligten Erzähler auch mit seiner persönlichen Emotionalität in den Text einbrachte, anstatt möglichst steril, trocken und überernst eine längst hinfällige Wissenschaftlichkeit vorzutäuschen, die glaubt, "objektive" Fakten unabhängig vom Beobachterstandpunkt produzieren zu können. Inzwischen fließt die Methode einer Neuen Lässigkeit in den meisten Massenmedien quasi unbemerkt als normales Stilmittel ein, denn der zeitgenössische Mensch schreit nach dem Echtzeit-Real-Life-Feeling - was nicht unbedingt dazu führt, daß die Qualität der Berichterstattung immer besser wird. Eine Kritik an der Kritik der Lässigkeit wäre jetzt vonnöten!
Tom de Toys, 18.5.2003, 1.Lesungs-Review für spokenwordBerlin
DONNERDICHTUNG
Streitschrift-Satire für Eva Strittmatter statt Elke Erb
Die Entscheidung ergab sich gestern abend von alleine, denn ich war zu erschöpft, um die "Lyriknacht" mit Celangweiler Kuhligk & Konsorten zu
besuchen. Und den Papenfuß hör ich mir sowieso lieber im Burger an. Also früh schlafen gehen und früh aufstehen: Die letzte lebende Grand Dame der deutschen Lyrik (Hilde Domin ist dagegen
Hausfrauenlyrik!!!) liest auf einer Open-Air-Vernissage in Babelsberg. Ihre radikalen und selbstentblößenden poetischen Gedanken begleiten mich schon seit Jahren, denn sie versteckt sich nicht
hinter beliebigen Hohlformeln und gewollten Metaphern sondern beleuchtet die seelischen Schwierigkeiten des Dichterlebens in einer Desinteresse-Gesellschaft so souverän bis subversiv wie ihr
eigenes Leben. Und obwohl ich noch in der S-Bahn sitze und die lange Fahrt nach Griebnitzsee für diese Einleitung nutze, weiß ich genau, warum ich mich an einem Sonntag in Neukölln bei
sommerlichem Nieselregen morgens aus dem Bett quäle: Zu viele wirklich wichtige Kollegen habe ich bereits knapp verpaßt (Beuys starb am Vorabend meines 18.Geburtstages und Dali am Vorabend meiner
Entlassung aus der psychosomatischen Klinik - von Nietzsche und Artaud ganz zu schweigen), die Zeit rast ohne Rücksicht auf Verluste weiter, und bevor ich selber von einem Auto platt gemacht
werde (wie Brinkmann und Berendt), gönne ich mir lieber noch schnell einen Ausflug in den Süden. Ah, die S-Bahn hält - und der Nieselregen setzt wie auf Kommando wieder ein! Das ist also
Griebnitzsee, fast dörflich und menschenleer... "LESUNG E. STRITTMATTER" steht mit Edding auf signalrosaroten Schildern ab der nächsten Straßenkreuzung, nachdem ich in der Bahnhofskneipe die
grobe Richtung zur Domstraße 23 a erfuhr. Ich flaniere zwischen sanierten Villen und Rohbauten bei ahnungslosem Vogelgezwitscher unter saftigem Grün und endlich: Die Sonne bricht durch! Die
wenigen vorbeifahrenden Autos müssen mich für einen Spinner halten: auf jeder zweiten Gartenmauer stütze ich mein loses Papier zum Schreiben und sobald ich weitergehe, fällt mir der nächste Satz
ein. Bin ich ein Erbe Heideggers? Aber egal, genug geschwafelt. Mal sehen, wo sich die Galerie "Wort und Kunst" versteckt. Und die Sonne scheint weiter, na prima. Hach, tatsächlich: ein Garten!
Und voll mit Action-Painting von Rengha Rodewill, der Schülerin eines Pollock-Weggefährten. Frisch gemalter Abstrakter Expressionismus mit Titeln wie "Big Bang" (1999) und neuere Pinselarbeiten
"New Romanticism" (2003) genannt, die schon auf der Biennale in Florenz gezeigt wurden. Die Künstlerin ist anwesend und hat einen ganzen Tisch mit Kopien zahlreicher Presse-Artikel und
biografischer Daten aufgebaut. Es ist halb Zwei, ich bin der erste, die meisten Bilder sind noch mit Folie gegen den Regen verhängt. Gitarre und Querflöte des märchenhaften Gaukler-Duos konnte
ich schon von der Straße aus hören. Ein riesiger Halbkreis aus Bierbänken auf der Wiese. Kein Buffet, nur Knabbereien. Mist. Ich mit mir ohne Frühstück. LESUNG MIT LEEREM MAGEN. Naja, immerhin
Chips und Fladenbrot. Allmählich trudeln Leute ein. Ich setze mich mittig zur Bühne, das sind ja auch im Kino die besten Plätze. Hinter mir das Hauptgebäude im Park: eine Adenauer-Residenz und
ehemaliges Potsdamer Forstamt. Dieser Ort ist voller Vergangenheit. Ich warte auf die Gegenwart. Und lese zwischenzeitlich das "Dance-Painting"-Manifest der Künstlerin. Endlich mal wieder ein
Manifest! Revolution! Es wird plötzlich etwas windig, aber die dunklen Wolken ziehen noch günstig vorüber. Halb Drei und zwanzig Zuhörer sind inzwischen da, die einen elegant, die andern
wetterfest. Noch ein einhalb Stunden bis die Stunde der Lyrik schlägt. Ich zerkaue die Erdnüsse und trinke Sprudel statt Bole. Unter mir die Wiese. Ob die Dichter der letzten Nacht schon wach
sind? Ob sich einer von ihnen hier blicken läßt? Richtig selbstbewußte Berufsjunglyriker und poppernde Yuppie-Autoren gehen nämlich am liebsten nur auf ihre eigenen Lesungen und streuen dann
gerne Werbelügen über die Bedeutung ihrer Zusammenkunft mit Sprüchen wie z.B. "Der Underground wurde vor 5 Jahren erfunden" (eben durch die Gründung ihres Netzwerk-Klüngels). Aber ich will ja
nicht gleich wieder aus purer Langeweile lästern. Also 1 Stunde Schweigen für die Poesie-Zombies und Literatur-Mafia (Zitat: Rarisch, der von der Zeitschrift "Zirkular am Zeitstrand" für den
Büchnerpreis vorgeschlagen wird). Bis die letzte Dichterfürstin des 20.Jahrhunderts ihre alte, aber hellwache Stimme erhebt... (- >> << -) ...Viertel vor Vier: Hundert Einheimische
(oder Touristen?) haben Platz genommen und es donnert gefährlich. Die Sonne findet keinen blauen Flecken mehr und als sich die 73-jährige E wie Eva Strittmatter auf eine Gehhilfe gestützt vor die
Menge schiebt, hilft bald schon auch die Mikrofonverstärkung nicht: Nach einigen Sätzen Prosa aus dem neuen Buch ihres verstorbenen Mannes Erwin prasselt das Gewitter pünktlich auf die
Sonntagsgesellschaft hernieder, die nun ruckzuck ein Dach aus Regenschirmen über sich spannt und darunter wie eine römische Legion verschwindet und tapfer weiter lauschen will. Ich flüchte mit
einigen anderen schlecht ausgerüsteten unter einen -leider durchlässigen- Sonnenschirm, der eines der ausgestellten bunten Bilder schützen soll, während die Dichterin, nachdem sie mehrmals die
Lesung vor lauter Regenlärm und Blitzen skeptisch (einmal sogar lachend mitten im Satz) unterbrochen hatte, um sich zu vergewissern, ob die Situation noch erträglich sei, dann doch ins Atelier
der Galerie-Baracke wechselt. Dort liest sie bei nicht mehr ganz so frischer Luft weiter und es wird an vielen tragikomischen Stellen aufgelacht. Als Bühnenbild dienen nun die Farbspritzer jener
Bilder, die im Garten die eigentliche Bühne absteckten und ihre Entstehung an der Atelierwand bezeugen. Wie zu erwarten war, liest Strittmatter dann ihre "geheimen Gedichte" mit
knattrig-klassischer Intonation (absolut austauschbar mit Hilde Domin!!!) und trotzdem kommt keine Langeweile auf, denn die Inhalte sind nicht nur tief und ehrlich sondern in ihrer Schlichtheit
keineswegs trivial. Außerdem artikuliert sie klar und deutlich mit der Schärfe ihres Geistes. Danach wird Schlange gestanden für eine Signatur, die sie bei jedem als persönliche Widmung
gestaltet. Diese Frau hat ein emotional aufregendes und anstrengendes Leben hinter sich, weil sie sich schreibend von Alltagslügen befreit. Hoffentlich war diese Veranstaltung trotz Krankheit
nicht ihre einzige Lesung in diesem Jahr. Legendär war sie allemale. Und auf dem Weg zurück zur S-Bahn-Station bricht die Sonne wieder durch und bleibt.