Die sogenannte "Neue Lässigigkeit" versteht sich als STILMITTEL EINER LITERATURTHEORETISCHEN REPORTAGE-METHODE, die versucht, nicht nur von objektiven Fakten wahrheitsgetreu zu berichten sondern die subjektive Betroffenheit des Reporters miteinzubeziehen, um einen Artikel in seiner Menschlichkeit, Authentizität und damit letztlich auch in seiner Glaubwürdigkeit aufzuwerten! De Toys schrieb (u.a.als LORD LÄSSIG) Rezensionen, Reportagen, Essays und Kritiken, die seiner eigenen Vision einer "Neuen Lässigkeit" folgten, indem er sich als beteiligten Erzähler auch mit seiner persönlichen Emotionalität in den Text einbrachte, anstatt möglichst steril, trocken und überernst eine längst hinfällige Wissenschaftlichkeit vorzutäuschen, die glaubt, "objektive" Fakten unabhängig vom Beobachterstandpunkt produzieren zu können. Inzwischen fließt die Methode einer Neuen Lässigkeit in den meisten Massenmedien quasi unbemerkt als normales Stilmittel ein, denn der zeitgenössische Mensch schreit nach dem Echtzeit-Real-Life-Feeling - was nicht unbedingt dazu führt, daß die Qualität der Berichterstattung immer besser wird. Eine Kritik an der Kritik der Lässigkeit wäre jetzt vonnöten!
Tom de Toys, 6.12.2002
VOM KLOSPRUCH ZUM STABREIM UND ZURÜCK
Eine sachliche Pop-Satire über den 3.Sexpoetry-Jahresslam
ich komme direkt von der massage. in der ubahn flimmern nachrichten vom monitor und viel zu gestresste menschen reden über viel zu triviale rituale. doch dann die hypnotisch bunte slam-werbung,
länger als sonst auf dem monitor, ich schließe beruhigt meine augen und flüchte vor dem medialen smog in einen trance-ähnlichen zustand tiefer innerer gelassenheit, wo keine sprache wohnt.
sprachlosigkeit.
als ich gegen halb zehn den club betrete, hängt draußen seit anbruch der dämmerung ein fieser nieselregen in der eisig kalten luft. ob überhaupt wer heute kommt? die tanzfläche ist bereits
bestuhlt und wird vom dj mit chilligen beats bespielt. ich nutze die leere des raums, um erstmal pinkeln zu gehen. männer müssen nämlich neben der bühne, was bei vollem saal schier unerreichbar
scheint, während frauen bloß durch die eingangslounge flanieren, als ob hier ein laufsteg sei. warum sich männer manchmal auf das falsche örtchen verirren, hat bestimmt verschiedene gründe. und
warum das thema sex noch nicht ausgereizt ist, bestimmt auch. es geht also um männer und frauen. und deren sexualverhalten in diversen konstellationen. laut homepage-presse sogar um liebe und
beziehung. ich bin gespannt und starre an die klowand, wo mir der weit und breit einzige eddingspruch ins auge springt: "wer das liest ist doof". aber der vorwurf prallt
geschickt an mir ab, indem ich ihn auf den bevorstehenden dichterwettstreit beziehe: ist der vortragende oder der zuhörende gemeint? wer ist hier doof? und ich spüre eine ungeahnte textimmanente
komplexität, ja vielleicht sogar wirklich hohe literatur. denn die zeiten haben sich geändert: alles ist erlaubt, was gefällt. der slam wird es beweisen.
zehn vor zehn, der moderator trifft mit einem smarten lächeln ein, studenten der mediengestaltung bauen mehrere kameras gut verteilt auf. generalprobe für ihren abschlussfilm. ein überpünktlicher
autor fragt mich, wer heute die liste macht. vermutlich der große, der gleich da drüben an der kasse steht. um ganz genau zehn sind schon alle fünfzig stühle besetzt und der büchertisch mit
subkulturellem hochglanz bestückt. als der moderator ganz in schwarz die bühne betritt, stehen weitere fünfzig schaulustige mit ziemlich spitzen ohren herum. der moderator: "super
autoren! für jeden fünf minuten sex! und das alle fünf minuten aufs neue!" und eröffnet den abend mit der "erogenen zone" von Gioconda Belli. danach der stargast, ein junger doktor
der germanistik, dessen studenten sich unter das szene-volk mischen. gelacht wird gerne an brutalen stellen, es soll im laufe des abends geschichten, gedichte und lieder geben, und klassisches
versmaß wird wieder einmal ganz bieder immer wieder und wieder hochkonjunktur feiern - aber alles der reihe nach: von sechzehn dichtern wird bloß der letzte vor seinem auftritt verschwinden, vier
von fünfzehn bühnenwilligen sind weiblich, das publikum fifty fifty und die fünf juroren fast freiwillige. die mutprobe kann beginnen.
und sie beginnt mit dem alibi-poem des buchhändlers, der eigentlich nur auf den nächsten slam aufmerksam machen möchte, während der zweite minnesänger mit vorgetäuschter peinlichkeit die gunst
der geduldigen meute sucht, denn er habe keinen titel für seinen fetischistischen text vorzuweisen. so mancher entjungfert sich mit 1 alten und 1 neuen gedicht, und bald schon wird gleich zweimal
die höchste punktzahl, zehn, für "kollektiven orgasmus", an die autorin x-mal wiederholter texte vergeben, deren HELLE,
SCHNELLE zeilen jedes LAND mit
SAND an die WAND stellen. danach
behauptet ein poet, er stände zwar nur rum, aber sei trotzdem innerlich nicht dumm. und müsse zudem am nächsten morgen eine leistungskursklausur über deutsche lyrik bewältigen. ein juror wird
wegen seiner schlechten bewertung zur rede gestellt. er mag keinen porno-rap. es folgen noch diverse "unerfüllte sehnsüchte", trotz englisch leicht nachzuvollziehen, sie handeln von CAGES und STAGES, und nach der pause geht es dann
schlag auf schlag im mittlerweile qualmgeschwängerten ambiente: SAMEN, DAMEN, SPUREN und HUREN des stargastes legen die messlatte hoch, dann das coming-out des garderoben-verwalters mit seinem aufgeklärten traum vom paradies, und als dann der
KOPF im "kalten kult" einer schrägen opernstimme zum NACHTTOPF mutiert, lichten sich die hinteren reihen und eine belustigte zuhörerin imitiert den gesang. bei STRONG, LONG, SONG,
FAIR und CARE wird wild applaudiert,
STRUKTUREN, KULTUREN, MACHT und SCHLACHT leiten zum ende über, ein zusätzlicher dichter hat
sich in der pause entschieden, doch zu lesen, um sich für die beiden freigetränke zu qualifizieren und reimt nicht nur ROSA auf SOFA, weil er einen PO SAH, sondern gleich noch LEBWOHL auf ALKOHOL und FISCH und TISCH hinterher. ich hätte ihm vorher meinen überflüssigen bong schenken sollen, dann wäre das nicht passiert.
aber dann werden auch schon drei sieger mit über vierzig punkten geehrt, mit bademodenposter, nikolausstiefel und echtem champus, und dass die meisten beiträge nicht sex thematisierten, macht gar
nichts laut moderator, denn der abend als solcher war wiedermal fürchterlich sexy. es ist zehn vor eins, die stühle sind ruckzuck zusammen gestapelt, während vor der bühne noch ein paar poeten
verschwörerisch klüngeln und der dj tanzbares für übrig gebliebene motivierte mädchen auflegt. das publikum hat sich wie immer köstlich bis skeptisch amüsiert, und als ich nach dem
abschlusspinkeln zum ausgang torkel, lehnt der schönste aller kurzzeithelden mit einer niedlichen muse wild knutschend an der wand der menschenleeren lounge. ein bild für besoffene götter! und
für mich der unerwartete beweis, dass sprachbegabung nicht nur ungelebtes kompensiert. die sinnliche authentizität meldet sich hinter den kulissen in ihrer ganzen interaktiven expressivität
zurück. ich nehme ein taxi, um möglichst schnell zu schlafen.
(c) Erstveröffentlichung bei spokenwordberlin & TITEL-Magazin