"POP PASSIERT BEIM DICHTEN KRIECHEN
ÜBER DEN BODEN UNTER RADAR!"
De Toys, 2.8.2007, handschriftliche Notiz im Lese-Exemplar des Katalogs
"Düsseldorfer Stadttor: KUNST-WERKSTADT 1996" (Grupello-Verlag) für
das Heinrich-Heine-Institut anläßlich des History-of-Pop-Projekts 2007
"Es hat sich dahin entwickelt, daß die Ansprüche an die Texte
immer niedriger wurden und das Sich-in-Szene-setzen (-das im negativen Sinne 'Eventhafte'-) in den Vordergrund gerückt ist. Auf einmal kriegt Jeder die Möglichkeit, auf einer Bühne mal für fünf
Minuten der Held zu sein, fünf Minuten der Star zu sein. Und um der Star zu sein, nimmt man jeden Trend in Kauf. Und die Sprache ist Medienrummel, die Sprache ist Spektakel - nicht mehr lyrische
Inspiration."
De Toys, im WortSpiel-Interview mit DeutschlandRadio Kultur:
"WENN LITERATUR ZUM EVENT WIRD" (14.3.2000, Berlin)
ACHTUNG ETIKETTENSCHWINDEL: Ähnlich verwirrend wie die häufig mißbräuchliche Verwendung des Begriffs "Popliteratur" für unkritisch-affirmative Unterhaltungslektüre (das ziemliche Gegenteil von klassisch-moderner Beatliteratur) oder allzu seichte Slampoetry (die zu billiger "Comedyliteratur" degradierte anstatt als heftige "Clubliteratur" radikale Gesellschaftskritik zu üben) ist der Trend zur Bezeichnung von neuer deutschsprachiger -teilweise genialer- Popmusik als "Poplyrik". Zu diesem ANDEREN Problemfeld jenseits germanistischer Definitionen, das im weiteren Verlauf dieser Seite NICHT weiter behandelt wird, das erste Zitat:
"Kunst allgemein, und die überwiegend von einzelnen Menschen allein produzierte und rezipierte Literatur besonders,
verwendet Allgemeines und Öffentliches, Formen und Konventionen, um Besonderes und Persönliches zu sagen, und klagt damit den symbolischen öffentlichen Schutz des Nichtöffentlichen ein. (...) Die
wahrhaft teuflische Ironie am Standort Deutschland, der die moderne kommerzielle Jugendkultur vor gerade mal einem halben Jahrhundert aus Amerika und England importiert hat, ist dabei aber, daß hier der stumpfsinnigste denkbare Abhub schlecht-einfältigen Kunsthandwerks neuerdings nicht mehr Schunkeln
und Gartenzwerg heißen will, sondern Pop." Dietmar Dath:
Die wo so singen tun, wie sie der Schnabel gewachst hat
(F.A.Z. 10.2.2005, Nr.34, S.37)
"Die Texte sogenannter 'slam poets' erscheinen vor allem hinsichtlich der Umstände ihrer Realisation, nämlich der öffentlichen Rezitation, als Pop, sind aber
eigentlich weniger einem literarischen Genre vergleichbar als vielmehr einer eigenen Sparte zwischen Musik und Literatur, dem Bänkelsang. (...) Letztendlich bleibt es wohl eine Frage der
Perspektive, inwiefern Poesie als spezifisches Pop-Genre aufgefasst werden kann."
Dr. Enno Stahl, in: DAS GEDICHT, Nr.11 (Pop und Poesie), Juni 2003
"Die Texte sogenannter 'slam poets' erscheinen mir dagegen, obwohl die situativen Umstände ihrer
Realisation, nämlich die öffentliche Rezitation, sehr darauf hinweisen, nur selten oder gar nicht als Pop-Lyrik, ja nicht einmal als Literatur, eher als eigene Sparte zwischen Musik und
Literatur, dem Bänkelsang vergleichbar. (...) Ansonsten erschöpft sich der Text (als Buchtext) im sinnleeren Kalauer und im Assonanzgeklapper als einzigem Stilmittel, was nicht gegen seine
Aufführungsqualitäten oder seine Verwendbarkeit als Rapstück spricht, aber ein Gedicht ist er nicht. Den meisten deutschen 'Slam Poeten' fehlt im übrigen schlichtweg die 'street credibility', die
die Texte ihrer amerikanischen Vorbilder wenigstens kultursoziologisch interessant machen."
Dr. Enno Stahl, in: Zeitgenössische deutsche Pop-Lyrik (August
2003)
"Wissenschaft, Kunst, Literatur, Musik waren Sinnbilder dessen, was ein hauptsächlich bildungsbürgerliches Publikum die Hochkultur nannte. Bereits im frühen 20. Jahrhundert hatte das Dogma der Kultiviertheit Risse bekommen, spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg aber wurde die Grenze zwischen einer bürgerlichen Elite und den breiten Massen endgültig durchlässig. Es gab kein Thema mehr, was sich nicht dazu eignete, zum Gegenstand der sich entfaltenden Popkultur zu werden."
Barbara Orland, in: EINSTEIN ON THE BEACH (Hrsg. M.Hagner, 2005)
"Über die Schuldidaktik verschafft sich das herkömmliche Bildungssystem Zugriff auf ein ursprünglich subversives und widerständiges Format. Der Kontakt mit
Spoken Word erfolgt für viele Jugendliche nicht mehr im wahren Leben, in den Clubs, in der Off-Szene, sondern in der Schule. (...) Der
Slam ist über weite Strecken eine Kunstform gewesen, die herrschende Mechanismen in Frage stellt. Man kann also in bestimmten Business-Partnern oder politischen Institutionen durchaus ein
Glaubwürdigkeitsproblem für den Slam sehen. (...) Dass in den genannten Bereichen mittlerweile Slam-Geschäftsmodelle entstanden sind, ist kein Zufall. Auffällig ist auch, dass die Einträglichkeit
eher nicht aus der Kunst resultiert, sondern auf der Ebene der institutionellen Vermittlung angesiedelt ist. Im Grunde müsste man sagen: derselbe kritische Impetus, der für die Herausbildung des
Slam entscheidend war, wäre konsequenter Weise einmal gegen den Slam selbst zu wenden."
Boris Preckwitz, in: Slam - ein Opfer des eigenen Erfolges? (28.11.2010)
"Einerseits gibt es den Begriff Social Beat, so wie ihn Thomas Nöske und Jörg André Dahlmayer 1991 mit den besten Absichten für die Literatur prägten: Social
Beat sei die ehrliche Literatur der Straße, wo herausgebrüllt wird, worum's geht, und wo man die ganze übelriechende Konformisierungstünche radikal beim Namen
nenne (...) Das Revolutionäre waren v.a. auch die Poetry Slams: jeder kann lesen, und das Publikum darf besoffen dazu grölen und muß nicht höflich applaudieren. Was in der Musik Oasis versus Blur
war, war in der jungen deutschen Literatur Social Beat versus Popliteratur. (...) Der große Sturm ist vorbei, die Wogen haben sich geglättet, und man hat sich von dem Ding, zu dem der Social Beat
mutiert ist, emanzipiert. (...) Tom de Toys ruft (gerade kürzlich bei den LINKEN BUCHTAGEN in Berlin) zur Repolitisierung und Anti-Eventisierung des Slam auf, was schon Hadayatullah Hübsch 2001 gefordert hatte. (...) Ein Abend mit einem guten Buch (von Killroy)
ist einem Abend vor dem in jeder Weise tödlichen TV in jedem Fall vorzuziehen!"
Ní Gudix, in: RETTET KILLROY! (satt.org Juli 2004)
"Das Bleiben ist das letztendliche Ziel. Und es ist ein vermessenes Ziel. (...) Ich kenne niemanden, der wirklich angekommen ist."
Benjamin Lebert (30-jährig 2012, Bestseller: "CRAZY" mit 17),
am 3.8.2012 im Interview mit JÜLICHER NACHRICHTEN
Interview-Auszug von 2002 mit G&GN-Pressesprecher Samuel Lépo
S.L.:
Herr De Toys, seitdem Johannes Ullmaier Sie in seinem antigermanistischen 2001er-Standardwerk "Von Acid nach Adlon und zurück" im Kapitel über die SocialBeat-Bewegung & die neue SlamPoetry indirekt quasi als kritischen Poplyriker darstellt (in Kontrast zu den als affirmative Popperliteraten bezeichneten Autoren des Neuen Mainstream wie z.B. Stuckrad-Barre), fragen wir uns, was Sie eigentlich unter "direkt" verstehen, wenn gerade NICHT der legendäre Brinkmannsche Reflex gemeint sein soll - warum nennen Sie Ihren postpoetologischen Ansatz ausgerechnet Direkte Dichtung?
T.de.T.:
Dazu muß ich etwas ausholen: Während die Moderne für diverse Varianten eines SINNLICHEN SUBJEKTIVISMUS steht, spiele ich mit der Vision eines sogenannten MYSTISCHEN MATERIALISMUS, der genau andersrum funktioniert als die vermeintlich "Existenzielle Entfremdung" (das große Negativ-E-Quadrat) des damals angeblich ach so Neuen Realismus: Als Inspirationsquelle für meine radikal-posiTIEFen Gedichte gelten mir nur noch "Extatische Ereignisse", in denen also der direkte Kontakt zwischen meinem neuronalen System und den natürlichen Sachen das Thema der Texte bestimmt. Das sind die berühmten 5 Minuten (deren reale Dauer zwischen Sekundenbruchteilen und mehreren Stunden schwankt!), in denen das lyrische Ich in den transtherapeutisch-ganzheitlichen Geist der Gegenwart eintaucht und keine METAPHORISCHEN Selbstprojektionen mehr behandelt (die leider tradionell als Kriterium für gute Gedichte gelten, von Rilke über Celan bis zu den Dumontschen "Jungautoren") sondern vorhandene Saynspositionen visionär auslotet, wodurch automatisch ein integraler Impuls in die natürliche Sprache einfließt und ihre absolut IMMANENTE INTENSITÄT dadurch aktiviert: Wörter, die im umgangssprachlichen Gebrauch eben noch grau und "normal" erschienen, wirken nun auf einmal "erhaben", weil da etwas durch sie hindurchleuchtet, was eben mehr ist, weiter ist als die an sich bekannte Syntax, nämlich die totale Präsenz des Menschen in jeder einzelnen Silbe bzw. erstrecht in den Quantisilben! Transdualistisch ausgedrückt, nenne ich dieses Moment "perinzendental", da es die schizophrene Abspaltung des Göttlichen (als transzendente Fiktion) überwindet und MITTEN IM ECHTEN LEBEN DIE "MITTE" DES GANZEN ERSPÜRT: DAS SEIN "IN SICH" STATT "AN SICH". Die Technik könnte man dementsprechend als "präsentomatisch" bezeichnen, da sich solche Gedichte erst in einem erweiterten Bewußtseinszustand "wie von selbst" aus der Grundlosen Inwesenheit niederschreiben - auf der psychischen Ebene entsteht dabei leicht der Eindruck, als ob Stimmen zu einem sprächen... Engel oder Außerirdische, oder meditierende Meister mir ihre Botschaften telepathisch einflößten. Aber das sei nur am Rande erwähnt (so mancher Kollege traut sich garnicht, diese internen Betriebsgeheimnisse zu verraten, aus Angst, für verrückt gehalten zu werden - dabei ist das eine wirklich spannende Selbsterfahrung!!!), denn vermutlich ist es von der Sozialisation des jeweiligen Dichters abhängig, wie seine niederen Schaltkreise derartige neurolinguistische Wahrnehmungsphänomene interpretieren. Auf jeden Fall gipfelt dieser antiplatonische Ansatz bei mir inhaltlich in der Erweiterten Sachlichkeit von echten (erfüllten!) Liebesgedichten und sprachlich in der experimentellen Geste von Quantenlyrik. Beide Spielarten dienen dem Versuch, unsere bildüberströmte Mediengesellschaft nicht weiter mit oberflächlichen Bildern zu verseuchen sondern ontische Bedürfnisse zu wecken, die den übermenschlichen (transpersonalen) Kern des Individuums betreffen.
>>In den neunziger Jahren dann teilte sich die "junge" Literatur, und es gab und gibt zwei parallel existierende Strömungen: Die eingangs bereits erwähnte "neue Popliteratur" auf der einen Seite, und die Social Beat- und Poetry Slam-Szene andererseits. Zur ersten findet sich im Buch das Kapitel "Republik Royal", und viele aktuelle Stimmen pro und contra "neue Lesbarkeit": Es werde sich im Wiedererkennungswert verloren, statt zu fordern und zu provozieren, die moderne Popliteratur habe einen zu affirmativen Bezug zu Lifestyle und Medien und scheitere sogar in ihrem Bemühen, eine authentische "Jugendsprache" wiederzugeben. "Die Feinde sind immer zu einfach, zu billig. Typen und Themen von gestern" (Franz Dobler). Natürlich wird richtigerweise festgestellt, dass man die aktuelle Popliteratur nicht nur vor dem Hintergrund des 60er-Jahre-Pop wahrnehmen darf, sondern die aktuellen kulturellen Gegebenheiten berücksichtigen muss: "Wer aber vom 'Marienhof' kommt, in dessen Resthirn muss ein Buch wie 'Soloalbum', ja überhaupt, die Idee ein Buch zu lesen, wie das Tor zum wilden Leben aufgehen", wird Georg Paul Thomann zitiert. Der zweiten aktuellen Strömung, Social Beat und Poetry Slam, ist das Kapitel "Kaltland Beat" gewidmet: Es wird klar, dass, sofern diese Tendenzen überhaupt eine Entwicklung im Sinne von "Pop" (also Bruch und Beschreitung neuer Wege) darstellten, dies nur in den Anfangszeiten von Social Beat und Poetry Slam so war, also um ca. 1993. Die ersten Social Beat-Festivals, die kollektive Selbstorganisation und die damit einhergehende neue Begeisterung für Untergrund-Literatur gaben sicher neuen Aufwind für die Autoren, die neue Lesungs-Form des Poetry Slam weckte neues Interesse beim Publikum. Leider hat sich dies nicht als dauerhaft erwiesen: Social Beat anno 2001 ist schon lange in endlosen Repetitionen versackt, während Poetry Slam zur reinen Stand-Up-Comedy geworden ist.<<
Peter Reichenbach & Daniel Beskos, in: Pop und Nichtpop und Antipop - Johannes Ullmaier schreibt DAS Buch zur deutschsprachigen Popliteratur (literaturkritik.de Nr.12, Dezember 2001, 3.Jahrgang)