"Beat-Zen ist ein komplexeres Phänomen. Es reicht vom Einsatz von Zen zur Rechtfertigung reinen Schabernacks in Kunst, Literatur und Leben bis hin zu einer ausgeprägten Sozialkritik und zum 'digging of the universe', wie man das etwa in der Dichtung eines Ginsberg, Whalen oder Snyder finden kann, sowie ziemlich holprig bei Kerouac, der ständig eine Spur zu selbstbewußt ist, zu subjektiv und durchdringend, um mit dem Flair von Zen zu überzeugen. (...) Aber eine jede dieser Gemeinschaften zieht, vor allem in Großstädten, eine Anzahl von schwachen Imitatoren und Mitläufern an, und in eben dieser Schicht findet man heute meistens den stereotypen 'Beatnik' mit seinen windigen Ideen von Zen. (...) Hier stiftet Zen Verwirrung, indem etwas zu Kunst und Leben idealisiert wird, was man besser als Therapie für sich behalten sollte. (...) Der eine will eine Philosophie, die ihm Rechtfertigung verschafft, zu tun und zu lassen, was er will. Der andere will eine plausiblere, autoritäre Erlösung, als Kirche oder Psychiater zu liefern imstande sind." Alan Watts, in: BEAT-ZEN, SPIEßER-ZEN UND ZEN (1958)
Das Berliner 1.Socialbeat-Literaturfestival war der Paukenschlag zum Auftakt einer Undergroundliteratur-Bewegung, die ebenso krass wie kurzlebig war. Einige der Beteiligten wurden Germanistik-Doktoren, andere erlagen dem Suff, dritte distanzierten sich von der "Lustlyrik" & "Pimmelprosa" bewegter Männer und spielen bis heute ihr eigenes Spiel. Und obwohl die Qualität & Kontinuität im Schaffensverlauf der Dichter extrem schwanken, sind einige Namen auch heute noch nicht ganz vergessen: Kersten Flenter betreibt immer noch einen authentisch engagierten Kleinstverlag und hält Lesungen, Carsten Sebastian Henn, dessen "Angewandter Kapitalismus" von Tom (de) Toys rezitiert wurde, ist mittlerweile Deutschlands gepflegter Wein-Experte, Dirk Hülstrunk (mit "n") zählt zu den wichtigsten zeitgenössischen Experimentaldichtern in der Tradition von Dada & Fluxus, der Miterfinder des Begriffs "Social-Beat" Jörg-André Dahlmeyer (zusammen mit Thomas Nöske, Co-Autor der "Popschamanismus"-Theorie mit HEL ToussainT, der das OpenMike beim 2.SB 1994 im ACUD moderierte) kehrte laut Gerüchten nach jahrelangem Auslandsaufenthalt als Straßenverkäufer des Stadtmagazins zitty auf die Schönhauser Allee zurück (wer ihn erkennt und ein Beweisfoto schickt, kriegt von mir ein originales Bild im Stile des Integralen Impressionismus geschenkt), Alexander Nitsche (ein Nahbellpreisträger) produziert immer noch limitierte Buchkunst-Editionen (teilweise zusammen mit Ron Schmidt, der aber damals nicht zum SB-Stoßtrupp gehörte) und die Osnabrücker Ex-Herausgeber der Zeitschrift "Labyrinth & Minenfeld" betreiben inzwischen ein etabliertes Online-Magazin (wer den Titel des Magazins kennt, gewinnt ebenfalls ein kontaktives Bild von mir!) - alles in allem lässt sich sagen: ES HAT SICH GELOHNT, DABEI GEWESEN ZU SEIN, denn dieses allererste SB-Festival gab allen zunächst einen ungeheuren Motivationsschub und nicht zuletzt eine schöne schräge Erinnerung an das subkulturell-subversive Berlin, bevor es schrittweise totsaniert wurde... (G&GN-INSTITUT, Ddorf, den 1.10.2012)
Neues Deutschland, 10.8.1993: BERLIN (von Steen Lorenzen)
Tom de Toys, der 1990 das Institut für Ganz & GarNix gründete, äußerte in einem Brief an Boris Kerenski, dass er sich schon 1994 von der Szene distanziert hätte. Im September 1995 gibt Tom de Toys im Namen des Instituts für Ganz und GarNix eine Presse-Erklärung heraus, in der er seine Gründe dafür darlegt und den Zustand des Social Beat schonungslos beschreibt: "Als die A.L.O. (AußerLiterarische Opposition) im Berliner Sommer `93 während des 1.SB (Social Beat) -Festivals ausgerufen wurde, dachte Deutschlands literarischer Underground an eine undogmatische Bewegung mit vielen Schreibstilen und Präsentationsweisen. Doch schon bald zeugten gegenseitige Distanzierungen von unkollegialen Arbeitsmechanismen, die dem etablierten Literaturbetrieb ähneln: Geld, Macht, Neid und Prestige spielten, seit die Medien sich interessierten, plötzlich eine größere Rolle als verbindende Gesellschaftswut und Glücksvisionen. Nach zahlreichen Zeitungsartikeln, TV-Berichten, Festivals und programmatischen Publikationen lässt sich die Szene nun grob in drei Lager sortieren: ein fast sektirerischer (sic!) Hard-core-Kern orientiert sich mit seiner sogenannten „Pimmelprosa“ an amerikanischen Beat-Autoren, eine dadasophisch angehauchte Clique schwört mit ihren Gedichten auf den aktionistischen Performance-Charakter von LITERATUR GEGEN LANGEWEILE und dazwischen treiben jene Schreiberlinge und Zeitschriftenmacher, denen das Marketing-Konzept wichtiger scheint als der Inhalt."
Presse-Erklärung des Instituts für Ganz & GarNix, September/Oktober 1995
Zitiert nach: 10 Jahre Social Beat – Eine
Bestandsaufnahme
"Der große Sturm ist vorbei, die Wogen haben sich geglättet, und man hat sich von dem Ding, zu dem der Social Beat mutiert ist, emanzipiert. Thomas Nöske wurde zum Philosophen, Tuberkel
Knuppertz heißt wieder Michael, Thomas Schweisthal gibt in der PO EM PRESS u. a. Jürgen Ploog heraus, Thomas Stemmer veranstaltet in der Nürnberger VHS Kurse über Burroughs, und Tom de Toys ruft
(gerade kürzlich bei den LINKEN BUCHTAGEN in Berlin) zur Repolitisierung und Anti-Eventisierung des Slam auf, was schon Hadayatullah Hübsch 2001 gefordert hatte. Alle glauben sie an den Genotyp
der "linken", der kritischen Literatur, aber keiner benutzt mehr das Wort Social Beat, also den Phänotyp."
Ní Gudix, in: RETTET KILLROY!
"Die 'Beat'-Mentalität, die ich vor Augen habe, ist etwas viel Weiträumigeres und viel Verschwommeneres als das Leben der Hipster von New York und San Francisco.
Sie ist die Nichtteilnahme einer jüngeren Generation am 'American Way of Life', eine Revolte, deren Ziel es nicht ist, die bestehende Ordnung zu verändern, sondern sich schlicht und einfach von
ihr abzuwenden, um den Sinn des Lebens eher in subjektiver Erfahrung als in objektiver Leistung zu finden. (...) Beat-Zen ist ein komplexeres Phänomen. Es reicht vom Einsatz von Zen zur
Rechtfertigung reinen Schabernacks in Kunst, Literatur und Leben bis hin zu einer ausgeprägten Sozialkritik und zum 'digging of the universe', wie man das etwa in der Dichtung eines Ginsberg,
Whalen oder Snyder finden kann, sowie ziemlich holprig bei Kerouac, der ständig eine Spur zu selbstbewußt ist, zu subjektiv und durchdringend, um mit dem Flair von Zen zu überzeugen. (...) Das
formlose Summen nächtlicher Großstadtgeräusche birgt einen Zauber in sich, welcher unverzüglich aufgehoben wird, wenn man es in einem Konzertsaal [John
Cage] darbietet. (...) Aber es ist erbärmlich, wenn man sieht, wie Zen als Vorwand für Zügellosigkeit benutzt wird, wenn Zen nichts weiter ist als
irgendeine fixe Idee, eine simple Rationalisierung. (...) Aber eine jede dieser Gemeinschaften zieht, vor allem in Großstädten, eine Anzahl von schwachen Imitatoren und Mitläufern an, und in eben
dieser Schicht findet man heute meistens den stereotypen 'Beatnik' mit seinen windigen Ideen von Zen. Doch wäre Zen nicht der Vorwand für solch einfallslose Existenzen, wäre es etwas anders.
(...) Hier stiftet Zen Verwirrung, indem etwas zu Kunst und Leben idealisiert wird, was man besser als Therapie für sich behalten sollte. (...) Es hat niemals eine geistige Bewegung ohne Exzesse
oder Verzerrungen gegeben. Die Erfahrung der Erleuchtung, die Zen erst konstituiert, ist zu zeitlos und universal, um verletzbar zu sein. Die Extreme des Beat-Zen müssen niemanden alarmieren, da
- mit den Worten Blakes gesprochen - 'der Narr, der in seiner Narretei verharrt, weise werden wird'. Was den Spießer-Zen angeht, so tendierten 'autoritäre' geistige Erfahrungen
immer dahin, fadenscheinig zu werden und damit das Verlangen nach etwas Echtem und Einzigartigem zu erzeugen, welches keines Stempels bedarf. (...) Der eine will eine Philosophie, die ihm
Rechtfertigung verschafft, zu tun und zu lassen, was er will. Der andere will eine plausiblere, autoritäre Erlösung, als Kirche oder Psychiater zu liefern imstande sind."
Alan Watts, in: BEAT-ZEN, SPIEßER-ZEN UND ZEN (1958)